von Josias Terschüren
Juni 2020
Josias Terschüren
Wachgeküsst vom Dornröschenschlaf und ab ins Koma?
Der Nahostfriedensprozess und die Iranpolitik unter Joe Biden. Ein Ausblick.
Die Welt erwartet den finalen Ausgang der US-Wahlen mit Spannung, stellt sich unterdessen aber bereits auf die neue Regierung unter Biden ein. Doch neu an dieser Regierung ist so gut wie gar nichts. Das deutet die bisher bekannte recycelte Obama-Administration an: Mit Antony Blinken als Außenminister, Jake Sullivan als Nationalen Sicherheitsberater und Avril Haynes als Direktorin der nationalen Geheimdienste, sowie Michèle Flournoy als wahrscheinlichster Kandidatin für das Pentagon ist keine neue Politik zu erwarten. Sie sind der Inbegriff von Establishment.[1] Ganz zu schweigen von Biden selbst.
Außen- und sicherheitspolitisch kehrt damit zwar eine gewisse Berechenbarkeit zurück. Bahnbrechend Neues ist aber kaum zu erwarten; vielmehr eine Rückkehr zu überkommenen Prinzipien – sei es in Bezug auf den Nahost-Friedensprozess oder (und das ist noch wichtiger) den Iran betreffend.
Doch während die Bundesregierung vor Freude über Bidens Kabinettsbesetzungen kaum noch an sich halten kann und über das Auswärtige Amt bereits öffentlich von einem „New Deal“, einem „transatlantischen Neustart“[2] träumt, ist man im Nahen Osten dabei, sich auf stürmische Zeiten einzustellen. Dort besitzt man nämlich jenen einen Luxus der europäischen Länder nicht: Abstand zum Iran. Man ist dort wohl oder übel direkt betroffen – westliches Wunschdenken und Appeasement können sich die Staaten der arabischen Halbinsel nicht leisten, der jüdische Staat schon gar nicht. So groß ist die Gefahr für die arabischen Staaten, dass sie weitestgehend unbemerkt den Pan-Arabismus sang und klanglos zu Grabe getragen haben, um Normalisierung mit Israel zu betreiben. Die geheime israelisch-arabische Allianz der Obama-Ära ist mittlerweile ans Licht der Öffentlichkeit getreten und wird in Bezug auf das Atomabkommen mit dem Iran anders als in 2015 mit geeinter Stimme sprechen.
Hektisches Treiben im Nahen Osten vor Bidens Amtsantritt
Solange Trump noch im Amt ist, werden im Nahen Osten in einem enormen Tempo Tatsachen geschaffen. Es gibt einen regelrechten Wettlauf gegen die Zeit in dem Bemühen, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bekommen, bevor der erwartete Machtwechsel in Washington vollzogen wird.
Am 22. November reiste der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu inkognito in einem Privatjet zu einem Treffen mit US-Außenminister Mike Pompeo und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) in die arabische Küstenstadt Neom. Zum ersten Mal in der modernen Geschichte besuchte ein israelischer Ministerpräsident Saudi-Arabien. Die israelische Presse bemerkte, dass dieses Treffen weder von saudischer, noch von israelischer Seite dementiert wurde und damit de facto Normalisierung zwischen beiden Ländern bedeutet. Dies sendet klare Signale in Richtung der kommenden US-Administration: Es gibt eine echte Chance auf Frieden im Nahen Osten, die es zu nutzen, nicht zu zerschlagen gilt. Außerdem wollen Jerusalem und Riad in Washington gemeinsam zur Iran-Politik Gehör finden.[3]
Fünf Tage nach diesem Treffen wurde der Chef des iranischen Atomprogramms Mohsen Fakhrizadeh bei einem Anschlag in Teheran getötet.[4] Über die Drahtzieher hinter dem Attentat ist bislang nichts bekannt; doch natürlich gibt es Gemunkel über die üblichen Verdächtigen, so auch den Mossad. Die Botschaft des Anschlages hingegen ist eindeutig: Man will eine iranische Atombombe um jeden Preis verhindern. Oder mit den Worten des israelischen Geheimdienst-Chefs Eli Cohen: „Israel hat deutlich gemacht, dass es Iran nicht erlauben wird, Atomwaffen zu erlangen.“ Wer Wind sät wird Sturm ernten. Selbst der intensivste Personenschutz inmitten der iranischen Hauptstadt kann dagegen nichts ausrichten – eine weitere Blamage für das iranische Regime.
Die verurteilende, pro-iranische Reaktion auf das Attentat aus alten Echokammern der Obama-Ära „staatlich gesponserter Terrorismus“[5] und von den Europäern „eine Straftat“[6], spricht Bände und verheißt nichts Gutes.
Doch auch in Washington schläft man nicht
Auch die jetzige US-Regierung ist nicht träge: Politico meldete Ende Oktober, dass zwei US-Kongressabgeordnete einen Gesetzesentwurf vorgelegt haben, der die US-Regierung dazu ermächtigt, Israel die größten nicht-nuklearen Bomben im US-Arsenal, lasergelenkte Bunker-brechende Bomben, zu verkaufen.[7] Diese Entwicklung ist eine logische Konsequenz aus dem US-Deal mit den Vereinigten Arabischen Emiraten über die Lieferung moderner F-35 Kampfjets. Auch Israel hatte seine Zustimmung erklärt. Die Lieferung der Bomben an Israel wäre eine Komponente, um die Qualitative Militärische Überlegenheit (Qualitative Military Edge – QME) Israels vor dem Hintergrund der Aufrüstung der Emiratis sicherzustellen.[8] Diese Bomben wären in der Lage, die unterirdischen Atomanlagen Irans zu zerstören, ohne dabei auf Atombomben zurückgreifen zu müssen. Doch die Bomben sind sehr schwer, es gibt nur wenige Bomber, die sie überhaupt tragen können.
Die Zeitschrift Forbes beleuchtet die Hintergründe und kommt in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass Israel vermutlich sogar die Fluggeräte zur Verfügung hätte, die es bräuchte, eine solch schwere Bombe überhaupt in die Luft zu bekommen. D.h. potenziell könnte Israel diese Bomben gegen den Iran einsetzen.[9] Und Israel hat mehr als einmal bewiesen, dass es für unmöglich gehaltene Militärschläge professionell umzusetzen weiß und auch mit Atomprogrammen seiner Gegner umzugehen versteht. Mit der konventionellen Aufrüstung Israels hätte Trump die Entscheidung über einen Militärschlag auf das iranische Atomprogramm geschickt outgesourct und Biden damit einiges an strategischen Spielräumen genommen. Auch Barack Obama rettete seine Nahostpolitik in 2016 während der „lame duck“ Phase seiner letzten Amtszeit. Er ließ damals auf UN-Ebene Sicherheitsrats-Resolution 2334 passieren und entzog seine Nahostpolitik damit dem Zugriff Trumps.
Selbst ein Militärschlag der Anti-Iran-Koalition unter US-Führung in den letzten Tagen der jetzigen Amtszeit Trumps mit potenziellem Involvement von Israel und Saudi-Arabien vor dem 20. Januar kann nicht ausgeschlossen werden.
Kann der neue Friedensprozess überleben?
Das neu-alte Biden-Team täte gut daran, die Stimmen der Israelis und Araber in Ruhe anzuhören.[10] In Berlin hatte man Anfang Oktober bereits die Möglichkeit dazu: Die Außenminister Israels und der Vereinigten Arabischen Emirate waren zu Gast. Der gemeinsame Besuch am Holocaust-Mahnmal war nichts weniger als historisch![11] Die Zeit wird zeigen, ob man im Auswärtigen Amt in seiner Berliner Villa Borsig gut zugehört und seinen eigenen Horizont erweitert hat. Die deutsche Presseerklärung im Anschluss war eher so weit so gewöhnlich, natürlich durfte auch der Verweis auf die angestrebte Zweistaatenlösung nicht fehlen.[12] Unter Joe Biden gälte man damit ja sogar wieder als „modern“. Das aber ist ein Jammer für
die Friedensbemühungen im Nahen Osten, die gerade erst aus ihrem bald 50-jährigen Dornröschenschlaf erwacht waren. Es bleibt der noch jungen Normalisierungsbewegung zwischen Israel und den Arabern zu wünschen, dass sie die Amtszeit Bidens übersteht.
Quellen:
[1] https://theintercept.com/2020/11/24/biden-military-national-security-blinken-flournoy/
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-wahl-usa/2413974
[4] https://melaniephillips.substack.com/p/the-warped-reaction-to-the-fakhrizadeh
[5] https://twitter.com/JohnBrennan/status/1332400793559949312?s=20
[7] https://www.politico.com/news/2020/10/27/lawmakers-push-bunker-bombs-israel-432790
[8] https://www.meforum.org/61802/bryen-on-f-35s-and-israels-qualitative-military-edge
[10] https://thedispatch.com/p/biden-should-heed-the-concern-of