von Josias Terschüren
August 2019
Josias Terschüren
Europa: Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Weltmacht zu sein
Europa zwischen den Stühlen
Die Entwicklungen der vergangenen Monate haben deutlich gemacht, dass die europäische Politik des verbissenen Festhaltens am Iranabkommen und der dadurch bedingten und nötig gewordenen Äquidistanz zu den USA, zu Israel und den arabischen Nationen auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite gescheitert ist. Europa hat unter französisch-deutscher Leitung versucht, eine mittlere Position einzunehmen, mit dem Ziel, die iranische Führung zu einer gemäßigten Politik zu bewegen, um das Atom-Abkommen zu bewahren. Sowohl die Amerikaner als auch der Iran buhlen um die Unterstützung der Europäer, können doch die Amerikaner ihre Nahostpolitik nicht ohne die E3 (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) gestalten und ist für den Iran doch die europäische Politik das adäquateste Mittel zur politischen Selbstverteidigung. Die Iraner haben es bisher als Meister des Schachspiels verstanden, diese europäische Politik zu ihren Gunsten auszunutzen, europäische Ohnmacht gegenüber einer gezielten iranischen Aggression vorzuführen und die Europäer gegen die Amerikaner auszuspielen.Es ist dem Iran gelungen, einen Keil in die Einheit der westlichen Welt zu treiben, bislang sogar ohne dabei die Toleranzgrenze der Europäer zu überschreiten. So sitzt Europa mittlerweile zwischen den Stühlen und damit in den Nesseln.
Europäische Langmut gegenüber iranischer Aggression
Wie hoch diese Reiz- und Toleranzgrenze ist wird auf erstaunliche Weise sichtbar, wenn man sich anschaut, in welchem Maß der Iran in den letzten Monaten im Golf von Oman und der Straße von Hormus mit einer Strategie der Nadelstiche durch eine Vielzahl von Attacken und Entführungen von Tankern und Handelsschiffen eine der Haupt-Arterien des Welt- Öl- und Gashandels [1] angegriffen und das hohe Gut der freien Schifffahrt in internationalen Gewässern gezielt unterminiert hat – die Deutsche Welle hat dazu eine Chronik veröffentlicht. [2]
Anders als die USA, Großbritannien und Saudi Arabien hielten sich die meisten europäischen Staaten mit Schuldzuweisungen in Richtung des Iran trotz einer relativ eindeutigen Beweislage zurück. Der deutsche Außenminister Heiko Maas brachte gar das Kunststück fertig, in seinem Statement zum doppelten Tankerangriff niemanden als Täter zu benennen und es bei reinen Allgemeinplätzen zu belassen. [3]
Verletztes Atomabkommen – bislang ohne nennenswerte Konsequenzen
Doch neben der maritimen Zuspitzung der Lage, gibt es auch äußerst bedenkliche Entwicklungen an einer anderen Front. Der Iran hat nämlich auch das Atomabkommen verletzt – und das in wesentlichen Teilen: Sowohl die erlaubte Menge angereicherten Urans von 300kg als auch der erlaubte Anreicherungsgrad von 3,67% sind nach vorheriger Drohung bewusst überschritten worden. Dazu hat der Iran den Schwerwasserreaktor in Arak wieder hochgefahren, der zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium geeignet und nötig ist. Eigentlich sollte dessen Nutzung laut dem Atomabkommen durch die Ausfüllung des Reaktorkerns mit Beton permanent verunmöglicht werden; doch der Iran brüstet sich damit, noch während der Verhandlungen in 2015 Ersatzteile für die wenigen tatsächlich zubetonierten Rohre beschafft zu haben. Soviel dazu, dass das Atomabkommen die iranische Atombombe zu verhindern hülfe. Bei solch einem betrügerischen Gegenüber ist die Diplomatie machtlos. Doch der diplomatische ist der von den Europäern momentan einzige verfolgte Weg.
Zur Tugend stilisierte Ohnmacht
Das heißt, europäische Reaktionen finden bislang ausschließlich verbal statt – eine Gangart, die den Iran offenbar völlig kalt lässt. Nicht einmal zu einer defensiven Schutzmission zur Sicherung der wirtschaftlich unverzichtbaren Wasserwege konnten sich die europäischen Nationen aus Furcht vor einer Eskalation bislang durchringen. Mit Ausnahme der Briten unter dem neuen Premier Boris Johnson. Einer entsprechenden offiziellen Anfrage der USA, an deren Marine-Operation Sentinel (Wächter) teilzunehmen, erteilte die deutsche Bundesregierung eine Absage, nicht ohne die (rationale und funktionierende!) amerikanische Politik des maximalen Drucks zu kritisieren.
Zugleich sind eigene Ansätze und eine klare Strategie für den Nahen Osten bislang auch nicht sichtbar. Das kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner mit deutlichen Worten: „Es wird höchste Zeit, dass die Bundesregierung, vorrangig das Außenministerium, Parlament und Öffentlichkeit über den strategischen Ansatz für die Nahost-Region informiert. Man kann den Eindruck haben, dass es keinen gibt. Mich macht fassungslos, dass wir in der Politik wieder nur im Kern die Debatte über die militärischen Entwicklungen führen – ohne den Blick auf das Ganze zu richten. Es fehlen die langen Linien einer Strategie.“ [4]
Dieser Umstand gilt für Berlin so gut wie für Paris und London: Man weiß mittlerweile, dass die gemeinsame Politik nicht aufgeht, die gewünschten Ergebnisse bleiben nicht nur aus, sondern entgegen aller Hoffnung nahmen iranische Aggression, Drohungen und regelrechte Erpressung stark zu. Dominique Moïsi, außenpolitischer Berater des französischen Präsidenten gibt zu: „Es gibt keine klare Alternative. Diese Linie funktioniert nicht, aber gibt es eine andere Linie?“ [5] Derweil gibt sich die Bundesregierung trotzig: Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt verklärt die deutsche Ohnmacht gar zur Tugend: „Angriffe auf unsere Politik zielen auf den Kern unserer Außenpolitik: die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen politische Lösungen zu erarbeiten. Davon werden wir uns nicht abbringen lassen.“Für die politische Elite Europas indes scheint der Schuldige für das Scheitern des Atomabkommens und die Eskalation klar ausgemacht zu sein: Es ist nicht etwa das terror-exportierende, sich in Vernichtungsfantasien gegen Israel ergehende und aggressiv handelnde iranische Regime, nein, es ist: Donald Trump.
Und so richtet sich die Empörung der Europäer und ihre Politik gegen die Trump Administration. Die Washington Post kommentiert zwar, dass die aggressive Politik des Iran Europa schließlich dazu zwingen könnte, sich in eine „unglückliche Harmonie“ mit den USA zu begeben, also doch noch in eine Kooperation; aber Europa sträubt sich derzeit nach Kräften. Es ist leichter einen demokratischen Verbündeten zu schelten, als Rückgrat zu beweisen und einem aggressiven religiösen Diktator die Stirn zu bieten. Das muss neben Trump auch Europas Lieblingsfeind Nummer zwei immer wieder erfahren: Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Experten kritisieren die deutsche Nahostpolitik
Es ist an der Zeit, einen funktionierenden Weg aus der Krise zu finden, eine Strategie zu formulieren, die deutschen Interessen dient, die unsere Verbündeten stärkt, statt sie zu diskreditieren und die unsere Feinde identifiziert und ihnen entgegentritt, anstatt sie zu hofieren und in Schutz zu nehmen. Unter den letzten drei sozialdemokratischen Außenministern ist der deutschen Außenpolitik in dieser Hinsicht die Orientierung abhandengekommen – wie aktuell das Beispiel Iran zeigt. Führende Beobachter und Experten sind sich mittlerweile in ihrer Bewertung der deutschen Nahostpolitik einig: Deren Orientierungslosigkeit und Planlosigkeit muss ein Ende haben – die deutsche Außenpolitik braucht eine Weichenstellung hin zu einer neuen, werteorientierten Nahostpolitik: Geschichtlich, moralisch, wirtschaftlich und zukunftsgewandt ist das nur an der Seite Israels und der USA möglich!
Der Politikwissenschaftler und Iran-Experte Matthias Küntzel bemerkt in einem äußerst lesenswerten Interview in Israelnetz:„Die Rede von der Sicherheit Israels als deutscher Staatsräson ist inzwischen eine hohle Phrase. Deutschland verfolgt eine janusköpfige Politik, wenn es versucht, besondere Beziehungen mit Israel und zugleich mit dem Iran aufrechtzuerhalten.“ [6] Michael Wolffsohn vergleicht die Politik der Bundesregierung mit einem Arzt „der die richtige Diagnose scheut und deshalb natürlich keine Heilung (Therapie) schafft.“ Die verbal geäußerte Solidarität mit den Juden beschreibt er deshalb „als zynisch oder zumindest doppelzüngig“angesichts des deutschen Appeasements gegenüber dem Iran. [7] Und der FDP-Außenpolitiker Frank Müller-Rosentritt bringt es unter dem Titel „Die Bilanz des deutschen Außenministers ist kläglich.“treffend auf den Punkt, wenn er in der Neuen Züricher Zeitung schreibt: „Man kann die Regierungspolitik unserer Verbündeten (lies: USA und Israel) zu Recht in vielerlei Hinsicht kritisieren. Aber das ständige Umgarnen autoritärer und totalitärer Regime (lies: Iran) bei gleichzeitig oft völlig unverhältnismässiger (sic!)Fundamentalkritik an befreundeten Demokratien, mit denen Deutschland sich eigentlich weltweit gemeinsam für Freiheit und Konfliktlösungen einsetzen müsste, lässt mich erheblich am Kompass und am konstruktiven Gestaltungswillen der Maas’schen Nahostpolitik zweifeln. Mit ihr ist weder den deutschen Interessen in der Region noch dem werteorientierten politischen Anspruch gedient. Es ist an der Zeit, dass Heiko Maas nicht nur über deutsche Verantwortung redet, sondern im Auswärtigen Amt für eine würdige deutsche Aussenpolitik (sic!) mit Haltung sorgt!“ [8]
Nur der unverklärte Blick auf die deutsche Geschichte und die richtigen Schlussfolgerungen daraus werden die Findung eines moralischen Standpunktes, als Ausgangslage für die Einordnung aktueller deutscher Interessen ermöglichen können. Deutschlands Engagement für die europäische Gemeinschaft und freundschaftlichen Beziehungen zu seinen europäischen Partnern, die transatlantischen Beziehungen und das Einstehen für die Sicherheit und das Wohlergehen Israels sind allesamt aus der Aufarbeitung der Schrecken des Dritten Reiches und des Holocaust entstanden und besitzen eine absolute Rechtmäßigkeit. Das Maß ihrer Vernachlässigung und Hintanstellung bedingt die momentane Orientierungslosigkeit und Schizophrenie von Anspruch und Wirklichkeit.
Quellen:
[1]Die Meerenge ist das bekannteste Nadelöhr des weltweiten Ölhandels; 90 Prozent der Energieexporte der Golfregion werden durch sie transportiert. Das sind täglich 21 Millionen Barrel Rohöl, Benzin und andere Ölprodukte, umgerechnet 21 Prozent des Weltverbrauchs. Hinzu kommen 4,1 Billionen Kubikmeter Flüssiggas, etwa ein Viertel der globalen Produktion.
[2] https://www.dw.com/de/die-tankerkrise-chronik-einer-eskalation/a-49728149
[3] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-golf-von-oman/2226610
[4]https://www.welt.de/politik/deutschland/article198795347/Verteidigungsministerin-AKK-sucht-ihr-Nahost-Gefuehl.html
[5]https://www.washingtonpost.com/world/how-long-can-europe-maintain-its-balancing-act-between-the-us-and-iran/2019/07/08/9f18abd6-6987-4b96-9b43-4d71864063db_story.html
[6]https://www.israelnetz.com/politik-wirtschaft/politik/2019/07/30/die-europaeer-sind-dem-iran-auf-den-leim-gegangen/
[7]https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/michael-wolffsohn-die-doppelzuengige-solidaritaet-von-anti-antisemiten-63932586.bild.html
[8]https://www.nzz.ch/meinung/die-aussenpolitische-bilanz-von-heiko-maas-ist-klaeglich-ein-gastbeitrag-ld.1501376