von Josias Terschüren
April 2017

Josias Terschüren

Deutschland zu Gast bei Freunden

Über den Besuch des Bundesaußenministers Sigmar Gabriel in Israel

Es ist ein turbulenter Abschnitt der deutsch-israelischen Beziehungen, der sich momentan vor unseren Augen abspielt. Schuld an den Turbulenzen ist einmal mehr der Doppelstandard, der gemeinhin für Israel gilt. Auslöser der aktuellen Spannungen zwischen den befreundeten Nationen ist ein abgesagtes Treffen zwischen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel. Die Absage durch Benjamin Netanjahu löste in Deutschlands Politik und Medien einen Eklat aus. Um nachvollziehen zu können, warum dieser sich dazu entschloss, den höchsten Diplomaten eines der engsten Verbündeten Israels in der Welt so öffentlich in die Schranken zu weisen, muss man die Vorgänge in einem größeren Kontext betrachten.

Beziehungsstress

Am 23.12.2016 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 2334, in der er jüdische Siedlungen in Judäa und Samaria und Jerusalem als völkerrechtlich illegal bezeichnete. Die USA ließ dem obersten Rat der Völkergemeinschaft diese stark israelkritische Resolution mit einer Enthaltung, also de facto einer Befürwortung, durchgehen.

Damit entfesselte die Obama Regierung in ihren letzten Tagen noch einmal ein diplomatisches Inferno über Israel. In Israel wurde die Resolution von Parteien aller Couleur durch die Bank abgelehnt und verurteilt, Benjamin Netanjahu bezeichnete sie als „historischen Fehler“. Deutschland machte sich die Haltung der internationalen Gemeinschaft einen Monat später während der Friedenskonferenz in Paris zu eigen, als es, vertreten durch den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Schlusserklärung des Gipfels unterzeichnete, die Resolution 2334 vollumfänglich unterstützte. Im Februar 2017 folgte dann die Absage der für Mai geplanten jährlich stattfindenden Regierungskonsultationen durch die deutsche Regierung, wegen „Terminschwierigkeiten“. Hinter den Kulissen aber hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Absage tatsächlich aufgrund der deutschen Ablehnung vis-à-vis der israelischen Siedlungspolitik erfolgte. Vor diesem Hintergrund geschah der Besuch des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel in Israel, der noch dazu dessen Antrittsbesuch im neuen Amt war. Als oberster Diplomat bestand seine Aufgabe eigentlich darin, die Wogen zu glätten und während seines Antrittsbesuches die Grundlage für gute Arbeitsbeziehungen mit Israel zu legen.

„Ein Gesandter, aber kein Geschickter“

Im Vorfeld von Staatsbesuchen findet normalerweise eine enge Terminabsprache mit dem Gastgeberland statt, das gilt auch für Ministerbesuche. Sigmar Gabriel wollte wohl mit sogenannten NGOs (zu deutsch: Nichtregierungsorganisationen) zusammenkommen – Israel unterbreitete dem Auswärtigen Amt daraufhin sechs Vorschläge, von regierungskritisch, bis regierungsnah eingestellten NGOs, was laut Medienberichten (www.welt.de/print/welt_kompakt/debatte/article164054032/Diplomatie-a-la-Gabriel.html) vom deutschen Botschafter Clemens von Götze brüsk zurückgewiesen worden sei. Man werde sich in der Terminwahl nicht von fremden Regierungen abhängig machen. Diese Argumentationslinie sollte nach dem Ausbruch des Eklats auch Sigmar Gabriel in seinem Interview für ZDF Morgenmagazin übernehmen. Die NGOs die Sigmar Gabriel und dem Auswärtigen Amt als passende Gesprächspartner vorschwebten waren B’Tselem und Breaking the Silence. Alex Feuerherdt schreibt in einem lesenswerten Artikel in MENA Watch ausgiebig über die Schattenseiten dieser Organisationen. Kurz zusammengefasst handelt es sich hierbei um zwei ultralinke „israelische“ NGOs, die im Chor der Anti-Israel-Organisationen führende Stimmen sind. Finanziert von internationalen Sponsoren, ausländischen Regierungen, der EU, politischen Stiftungen, Misereor, Brot für die Welt usw. recherchieren sie vermeintliche Menschenrechtsverletzungen Israels und veröffentlichen diese in Reports. Diese wiederum werden mit Vorliebe von westlichen Nationen zitiert, um ihre Anti-Israel Resolutionen, Statements und Haltungen zu rechtfertigen und sich dabei auf israelische Quellen zu berufen. Grob gesagt sind diese Organisationen westlich bezahlte Agenten, deren Aufgabe darin besteht, unter dem Titel „Menschenrechte“ Israel professionell zu verleumden. Der israelische Journalist Dror Ben Yemini erklärt im scharfsinnigsten und -züngigsten aller Op-Eds zum Thema im Cicero:

„Diese Organisationen sind keine Friedensaktivisten. Sie verbreiten Hass. Nach diesen Inhalten besteht weltweit große Nachfrage. Und es gibt Menschen, die bereit sind, dafür zu bezahlen. Auch Deutschland. […] Im Rahmen dieses Verschärfungsprojekts unterstützen die Europäische Union und die Staaten Europas, darunter auch Deutschland, Organisationen, die zur BDS-Kampagne gehören oder die Rechtfertigungsgründe für den palästinensischen Terror liefern oder Teil der Propaganda sind, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt und das Land als Monster hinstellt. Das Deutschland von einst hat die Juden dämonisiert. Das Europa von heute, und das schließt Deutschland mit ein, finanziert Organisationen, die den jüdischen Staat dämonisieren. Dahinter stecken keine antisemitischen Absichten. Im Gegenteil. Dahinter steht der Wunsch nach einem ruhigeren Nahen Osten. Aber die meisten oder alle der Organisationen, die diese finanzielle Unterstützung genießen, sind gegen – ausdrücklich gegen! – die Lösung von zwei Staaten für zwei Völker. Die Finanzierung bringt uns dem Frieden nicht näher. Und für Israel besteht wahrlich keine Notwendigkeit, auch noch die zweite Wange hinzuhalten.“

Das sah auch Benjamin Netanjahu so, er machte dem Auswärtigen Amt deutlich, dass ein Treffen mit Breaking the Silence und B’Tselem für ihn eine rote Linie darstellte – wie sein Büro später erklärte: „Die Politik von Premierminister Netanyahu ist es nicht, Besucher zu treffen, die auf diplomatischen Reisen nach Israel Gruppen treffen, die Soldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte als Kriegsverbrecher verleumden.“ Das Büro des israelischen Premiers setzte die Deutschen darüber in Kenntnis, dass er im Falle eines Treffens Gabriels mit einer der beiden Gruppierungen, sein Treffen mit dem Bundesaußenminister absagen würde.

Gabriel blieb bei der Linie, die schon zuvor sein Botschafter vertreten hatte, ließ sich nicht reinreden und überschritt die Linie bewusst. Netanjahu sagte daraufhin das Treffen ab. Die der Regierungsnähe völlig unverdächtige israelische Zeitung Haaretz berichtete, dass Benjamin Netanjahu noch versuchte, mit Gabriel persönlich zu telefonieren, um ihm die Beweggründe zu erläutern, dass dieser aber das Telefonat nicht annahm. Dieser Umstand wurde auf direkte Nachfrage von Volker Beck im Bundestag von der Bundesregierung weder dementiert, noch bestätigt.

Gewollter Eklat?

Die deutschen und israelischen Medien überschlagen sich – alle reden von einem Eklat, aber die Schuldfrage wird unterschiedlich bewertet. Gabriel erhielt erwartungsgemäß Rückendeckung von einigen linken Blättern, allen voran von der Süddeutschen Zeitung, die mit Abstand am reißerischsten berichtete. So titelte Peter Münch „Wladimir, Tayyip Netanjahu“, doch in dieser Liga spielen natürlich weder er, noch sein Land, wenngleich das Auswärtige Amt ihn so behandelte, schließlich stehen Treffen mit Nichtregierungsorganisationen gegen den Willen des Gastgeberlandes sonst nur in autokratischen, diktatorisch geführten Ländern auf dem Programm (und dort völlig zurecht) – die gleiche Behandlungsweise dem demokratischen Staat Israel zukommen zu lassen, kommt einer diplomatischen Beleidigung epischen Ausmaßes gleich. Doch auch Der Spiegel und die Taz stärkten Gabriel, Alan Posener in der Welt und Alexander Will in der Regionalzeitung NWZ, sowie Dror Ben Yemini im Cicero sahen den Auftritt des Bundesaußenministers hingegen kritisch.

Bilaterale Beziehungen im Wahlkampf

Politisch betrachtet macht der Schritt für Sigmar Gabriel eine Menge Sinn: So orientiert sich ja die SPD im Wahlkampf momentan klar in Richtung R2G – rot-rot-grün, und da kommt man mit israelkritischen Haltungen gut an. Noch dazu hat der gerade aktuell erschienene Antisemitismus-Bericht der Expertenkommission des Deutschen Bundestags aufgezeigt, dass ca. 40% der deutschen Bevölkerung stark israelkritische, bis ins Antisemitische hineinbordende Haltungen hegen – ist das das neue Wählerpotential, das man erschließen will? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Man zog sowohl in Israel, als auch in Deutschland den Schluss, dass sich Sigmar Gabriel aus innenpolitischen, wahlkampftaktischen Gründen so verhalten hat. Warum aber sowohl Thomas De Maiziere, als auch Dr. Angela Merkel, dem SPD-Mann dabei öffentlich den Rücken gestärkt haben, bleibt ein Geheimnis, das sich dem Autor dieser Zeilen nicht erschließt. Die CDU scheint sich nicht einig im Umgang mit der Sache zu sein, anders als die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister positionieren sich z.B. MdB Gitta Connemann, die sich sehr früh mäßigend und kritisch geäußert hatte: „Ich hätte mir mehr Fingerspitzengefühl gewünscht“ und MdB Klaus Brähmig in einem deutlichen Facebook-Post.

Doch das Kollegialitätsprinzip greift im Großen und Ganzen: Staatssekretär Michael Roth (SPD) vom Auswärtigen Amt bestätigt, dass die Bundesregierung sich im Nachgang intensiv mit dem Besuch des Außenministers in Israel auseinandergesetzt habe und ging im Bundestag soweit zu sagen: „Wir sind als Bundesregierung dankbar für diese Reise, weil sie noch einmal unser hohes Interesse an Frieden, Stabilität und Demokratie in dieser Region unterstreicht.“ – kein Wort von Selbstkritik also. Dass freilich ein solch polterndes, ja, dreistes Verhalten von Deutschlands oberstem Diplomaten ausgerechnet einen Tag nach dem Yom Ha Shoah, dem israelischen Holocaust-Gedenktag und wenige Tage vor Yom Hazikaron, dem israelischen Feiertag, an dem den gefallenen Soldaten Israels gedacht wird, den israelischen Regierungschef quasi dazu zwingt, die Zeichen auf Sturm zu stellen, nimmt nicht Wunder. Benjamin Netanjahu selbst bezeichnete die Vorgehensweise Gabriels in einem Exklusivinterview mit der Bild-Zeitung als „instinktlos“.

Gefühlte moralische Superiorität Deutschlands und nicht erwünschte Friedensvermittlung

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – Diese Maxime taugt wohl nirgends so wenig, wie in Israel. Jan Fleischhauer erklärt in markigen, starken Worten, warum Deutschland sich in Israel zurückhalten und in Demut üben und keinesfalls als großer Friedensstifter auftreten sollte.

Die deutsche Doppelmoral vis-à-vis Israel ist erschreckend: Während man sich zuhause darin hervortut, sich als Regierung in die Treffen türkischer Minister in Deutschland einzumischen (und das völlig zurecht!), gesteht man Israel nicht die gleiche Freiheit zu, im eigenen Land Treffen von hochrangigen Politikern anderer Nationen gegen die eigenen Interessen zu begrenzen oder gar abzusagen. Stattdessen echauffiert man sich, wenn Israel mit weit geringerer Vehemenz vorgeht, schließlich wurden Gabriels Treffen nicht unterbunden (wie im deutsch-türkischen Fall), sondern lediglich in der Konsequenz ein eigenes Treffen mit Gabriel abgesagt!

Selbstgefällig gesteht man sich zu, sich in Israel als Verfechter der demokratischen Zivilgesellschaft zu geben, während man direkt und über die EU und halbstaatliche Player indirekt, Organisationen fördert, die die Dämonisierung Israels vorantreiben und das natürliche Gefüge der Gesellschaft Israels und damit auch dessen Sicherheit untergraben. All das geschieht entgegen eigener Absichtserklärungen für Frieden, das Existenzrecht und die Sicherheit Israels einzustehen – dieses zwiegespaltene Verhalten hat Netanjahu öffentlich gemacht und deutlich an den Pranger gestellt. Doch anstatt sich zu schämen, sich zu korrigieren und in seiner Politik auf moralisch vertretbaren Boden zurückzukehren, geht man in die Offensive und beharrt auf seinem falschen Standpunkt. Das ist mehr als bedauerlich!

Der vorgeschobene Einwand, es gehöre zum ganz normalen Prozedere sich mit der zivilgesellschaftlichen Opposition zu treffen, gilt so wohl auch nur in Israel, denn weder bei westlichen Verbündeten, noch in Riad, Teheran, Amman oder Ramallah folgt man diesem Prinzip, das weiß Sigmar Gabriel aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister nur allzu gut!

Es bleibt zu hoffen, dass Sigmar Gabriels Vorgänger und jetziger Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem in Kürze stattfindenden Besuch in Israel mehr diplomatisches Geschick walten lässt und Weisheit und Einsicht erhält, die angeknacksten Beziehungen zu kitten und die Gräben nicht weiter zu vertiefen.


Beitragsbild: Olaf Kosinsky2017-03-19 Sigmar Gabriel SPD Parteitag by Olaf Kosinsky-6CC BY-SA 3.0 DE