von Josias Terschüren
Dezember 2019
Josias Terschüren
Von der vermeintlichen Illegalität israelischer Siedlungen
Internationaler Kampf um die Deutungshoheit in drei Akten
In den vergangenen Wochen und Monaten entfaltete sich auf internationaler Bühne ein regelrechter Kampf um die Deutungshoheit über den legalen Status der von Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967 eingenommenen Gebiete (Judäa und Samaria, Golan und Jerusalem).
Der erste Akt – israelische Annektierung des Jordantals?
Den Auftakt für das Politik-Drama bildete die Ankündigung Benjamin Netanjahus Mitte September anlässlich des zweiten Wahlgangs in Israel, das Jordantal im Falle eines Wahlsieges in enger Abstimmung mit Washington annektieren zu wollen. Es gab kein Dementi der US-Administration, aber wütende Proteste aus europäischen und arabischen Hauptstädten. Das Weiße Haus ließ verlautbaren, der Schritt verhindere eine von den USA angestrebte politische Lösung des Nahostkonfliktes nicht.
Der zweite Akt – Politisiertes Urteil des Europäischen Gerichtshofes
Ein zur Unzeit veröffentlichtes Urteil des Europäischen Gerichtshofes über die Kennzeichnungspflicht israelischer Waren aus diesen Gebieten eröffnete den zweiten Akt. Vorausgegangen war eine Richtlinie der Europäischen Kommission vom 25. Oktober 2011 [1], der im November 2015 ein interpretierendes Memo folgte [2], nach dem Waren aus den Gebieten, die Israel 1967 erobert hatte, nicht die Kennzeichnung „Made in Israel“ erhalten sollten. EU-Mitgliedsstaaten waren angehalten, aber nicht verpflichtet, die Richtlinie umzusetzen. Frankreich führte als erster EU-Staat am 24. November 2016 eine noch harschere Kennzeichnungspflicht ein, als von der EU gefordert. [3]
Dagegen hatte die Winzerei Psagot zusammen mit der Organisation Europäischer Juden (Organisation Juive Européenne), vertreten von der amerikanischen NGO Lawfare-Project, geklagt. Die Kläger argumentierten, dass die französische Kennzeichnungspflicht die Promotion eines wirtschaftlichen Boykotts gegen Israel darstellte. Das oberste französische Verwaltungsgericht (Conseil d‘État) wiederum verwies den Fall am 30. Mai 2018 zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof, der in seinem Urteil der französischen Position Recht gab und die nunmehr verpflichtende Kennzeichnung jüdischer Waren aus den 1967 eroberten Gebieten festsetzte.
Die Klage der israelischen und jüdischen Seite wurde so leider zu einem spektakulären Eigentor! Warum? Auf dem Rechtsweg hat damit – in letzter Instanz! – eine unverbindliche Richtlinie der Europäischen Kommission, die im Rat nie durchgekommen und damit nie für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich geworden wäre, den Status rechtlicher Verbindlichkeit erhalten. Das sah auch das israelische Justizministerium so voraus und hatte sich bei den Klägern vehement für die Aufgabe des Verfahrens eingesetzt, als sich abzeichnete, dass der Europäische Gerichtshof eine einseitig gegen Israel gerichtete Entscheidung treffen würde.
Eine solche verpflichtende Kennzeichnung für Waren aus umstrittenen Gebieten gibt es in Europa nämlich nur für Israel und für keinen anderen territorialen Konflikt weltweit!
Wir haben schon in 2015 ausführlich zu dem Richtlinien-Memorandum Stellung bezogen und die Hintergründe zu dessen Entstehung und Zielsetzung erarbeitet. [4] Auch zum jüngsten EuGH-Urteil haben wir eine Stellungnahme verfasst [5], die von der evangelischen Nachrichtenagentur Idea aufgenommen worden ist. [6]
Wünschenswert klare Kante zeigte der Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, der auf Twitter schrieb: Dass für #Israel eine besondere Kennzeichnungs-Pflicht aus besetzen Gebieten gelten soll ist skandalös. Der #EuGH verlangt etwas, das so für andere Länder nicht gilt. Also mal wieder doppelte Standards. So wird #Antisemitismus gefördert. ???????? [7]
Jüdische Gemeinden in ganz Europa reagierten entsetzt auf das EuGH-Urteil. Einige social-media affine Jüdinnen und Juden antworteten mit teils beißend zynischen Kommentaren:
Der Sohn Wolf Biermanns Eliyah Havemann, der zum Judentum konvertierte und mit seiner Familie in Israel lebt, schrieb auf Twitter in einer viralen Botschaft:
Später führte er seine Gedanken dazu in einem lesenswerten Blog-Post weiter aus. [8] Auch die jüdische Aktivistin Malca Goldstein-Wolf twitterte in Anlehnung an den Nazislogan der 30er zynisch: #Deutsche wehrt Euch! Kauft bei #Juden! [9]
Doch was für einen Ausweg aus dem Dilemma einer rechtlich verbindlichen, politisierten Entscheidung des EuGH gibt es über den Zynismus hinaus?
Das Urteil muss ausgesetzt werden
Die Bundesregierung sollte über den Rat der EU und die Kommission darauf hinwirken, die Umsetzung des Urteils solange auszusetzen, wie es nur auf Israel und nicht auf sämtliche anderen territorialen Konflikte weltweit angewandt wird! Das Prinzip der Gleichbehandlung aller Staaten muss gewahrt bleiben; Willkür vor allem gegen den einzigen jüdischen Staat ausgeschlossen werden!
Der dritte Akt – Wende der US-Regierung „israelische Siedlungen nicht per se illegal“
Im dritten und vorerst letzten Akt ließ US-Außenminister Mike Pompeo nur eine Woche nach dem EuGH-Urteil und quasi als US-amerikanische Reaktion darauf eine diplomatische Bombe platzen: Er verkündete, dass die Trump-Administration die Haltung der Obama-Regierung, israelische Siedlungen als per se illegal zu betrachten, aufgebe.
Die US-Haltung bezüglich israelischer Siedlungen in der Westbank sei in der Vergangenheit widersprüchlich gewesen. Carter habe sie in 1979 als „unvereinbar mit internationalem Recht“ bezeichnet, Reagan diese Einstufung in 1981 revidiert, sie seien nicht „an sich illegal“ – verschiedene US-Regierungen hätten seither dann die Position eingenommen, dass unbegrenzte Siedlungsaktivitäten ein „Hindernis für Frieden“ darstellen könnten. Gleichzeitig hätten sie auch erkannt, dass das Herumreiten auf juristischen Positionen diesbezüglich die Friedensbemühungen nicht voranbringe. Die Obama-Administration hätte diesen jahrzehntelangen, behutsam aufgebauten, parteiübergreifenden Ansatz im Dezember 2016 aber gekippt, indem sie die vermeintliche Illegalität der Siedlungen wieder zur US-Haltung machte. Nach einem eingängigen Studium aller Seiten dieser Debatte stimme die Trump-Administration mit der Einstufung Reagans überein. Und dann folgte der Schlüsselsatz – die Sicht und Entscheidung der US-Regierung: Die Gründung ziviler israelischer Siedlungen in der Westbank sei nicht per se unvereinbar mit internationalem Recht. [10]
Dieser Kontrapunkt zum EuGH-Urteil hätte nicht krasser ausfallen können. Was Pompeo gesagt hat und was er eben nicht gesagt hat wird in unserem Statement zu seiner Erklärung deutlich. [11] Die US-Administration hat keineswegs israelische Siedlungen pauschal als legal erklärt, noch als illegal. Wie schon in der Jerusalem-Frage nimmt die US-Administration unter Trump auch hier eine neutrale Haltung ein und schafft viel Raum und ein ebenes Spielfeld für bilaterale Friedensgespräche zwischen Israel und Palästinensern.
Zu den weiteren in 1967 durch Israel eingenommenen Gebieten, namentlich Jerusalem und den Golan-Höhen, hatte die Trump-Administration ja bereits ebenfalls eine vom bisherigen Dogmatismus abweichende Position eingenommen.
Wütende Reaktionen im Westen und seltene Einhelligkeit in Israel
Die Reaktionen auf Pompeos Ankündigung kamen prompt und wie zu erwarten scharf. Die harschesten Verurteilungen kamen dabei interessanter Weise von der EU und deren Mitgliedsstaaten, sowie von den US-Demokraten [12], also gerade jenen Akteuren, deren israelkritische Haltung sich ganz auf die vermeintliche Illegalität der Siedlungen beruft und ohne diese haltlos wird: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gab eine unverhohlen kritische Presseerklärung heraus. Sie berief sich dabei auf UNSR-Resolution 2334, die ja gerade Obamas Abkehr von jahrzehntelanger amerikanischer Haltung in der Sache bedeutete. [13] Gemeinsam mit ihren französischen, belgischen und deutschen Kollegen hatte sie sich dafür eingesetzt, eine einstimmige Verurteilung des amerikanischen Schrittes durch alle EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen, war aber am Widerstand des israelfreundlichen Ungarn gescheitert. Die Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes folgte inhaltlich und zeitlich der EU-Linie. [14] Auch Russland, die Arabische Liga und die Türkei verurteilten den amerikanischen Schritt. [15]
In Israel hingegen waren sich selbst angesichts des gegenwärtig größten politischen Splits des modernen jüdischen Staates Regierung und Opposition einig in ihrer Befürwortung des amerikanischen Schrittes. Sowohl der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu [16] als auch der Leiter der Opposition Benny Gantz [17] begrüßten die US-Entscheidung.
Quellen:
1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/ALL/?uri=CELEX%3A32011R1169
2 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015XC1112(01)
3 https://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000033464109&categorieLien=id
4 https://initiative27januar.org/eu-labelling/
5 https://initiative27januar.org/stellungnahme-zum-eugh-kennzeichnungs-urteil/
7 https://twitter.com/PaulZiemiak/status/1194968256207085568?s=20
8 https://die13blumen.wordpress.com/2019/11/13/klebt-einen-gelben-stern-drauf/
9 https://twitter.com/WolfMalca/status/1194509659819970560?s=20
10 https://www.state.gov/secretary-michael-r-pompeo-remarks-to-the-press/ https://twitter.com/StateDept/status/1196524458560737280?s=20
12 https://www.jpost.com/Israel-News/Democrats-anti-settlement-letter-just-what-Pompeo-wanted-608894
14 https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/israelischer-siedlungsbau/2277674
15 https://www.timesofisrael.com/russia-turkey-reject-us-reversal-of-settlements-stance/
16 https://twitter.com/IsraeliPM/status/1196518920062029824?s=20
17 https://twitter.com/gantzbe/status/1196516965449379841?s=20