von Josias Terschüren
Februar 2017

Josias Terschüren

Neuvermessung der Welt

So stürmisch, wie das Jahr 2016 für die Weltpolitik und Israel geendet hat, scheint es in 2017, zumindest bislang, auch weiter zu gehen. Die Obama-Administration hatte in einem verzweifelten Endspurt noch einmal mit aller Macht versucht, ihre außenpolitischen Überzeugungen bezüglich des Friedensprozesses im Nahen Osten am amerikanischen Wählerwillen und dem demokratisch legitimierten US-Kongress vorbei, über den von Obama schon beim Iran-Deal genutzten Aus- und Umweg des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Stein zu meißeln. UNSR-Resolution 2334 machte einen einzigen Schuldigen für die Abstinenz von Frieden aus, den Staat Israel und jüdische Siedlungen in Judäa und Samaria und in Ostjerusalem, die die Resolution als „nach internationalem Recht illegal“ bezeichnete. Ein Schritt, der auf scharfe, parteiübergreifende Kritik aus Israel und auch von dem damals frisch gewählten, noch nicht eingesetzten, Präsidenten Donald Trump, stieß. Die Enthaltung der USA in dieser Abstimmung markierte eine wesentliche Abkehr von bisheriger amerikanischer Politik und Positionen.

Bei der am 15. Januar 2017 stattgefundenen Pariser Friedenskonferenz übernahm auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die Position der Resolution, ungeachtet aller Kritik aus Israel und von Großbritanniens frisch gebackener Premierministerin Theresa May, die, um ein starkes post-Brexit Handelsabkommen mit den USA unter Trump bemüht, nur eine unbedeutende Delegation nach Paris schickte, das Abschlussprotokoll der Konferenz nicht unterzeichnete und dessen Implementierung im Rat der EU gemeinsam mit Ungarn und einigen baltischen Staaten verhinderte.

Die UN muss sich verändern

Die Dichte an für Israel wesentlichen Neubesetzungen weltpolitisch einflussreicher Positionen in diesem Zeitraum ist beachtlich. So wurde neben May und Trump auch der ehemalige portugiesischen Premierminister António Guterres zum neuen UNO-Generalsekretär gewählt und im Dezember eingesetzt. Guterres war schnell darin, sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit deutlich von der, historisch jeder Grundlage entbehrenden, postfaktischen Entscheidung der UNESCO zu distanzieren, die den verwerflichen Versuch unternommen hatte, Jerusalem als eine rein muslimische Stätte, ohne Bedeutung für Juden, das Judentum oder den Staat Israel zu redefinieren. Seine Aussagen , dass es vollkommen klar sei, „dass der Tempel, den die Römer in Jerusalem zerstörten, der jüdische Tempel war“ und dass niemand die Tatsache leugnen könne, „dass Jerusalem heute eine heilige Stadt für drei Religionen sei, einschließlich des Judentums.“ zogen wie zu erwarten, wütende Proteste der palästinensischen Delegation nach sich. Doch sie waren auch ein Anzeichen davon, dass das neue Establishment der UN sich des neuen Windes, der seit der Amtseinführung von Donald J. Trump in den USA weltweit weht, durchaus bewusst ist und reagiert.

Dass sich in der UN vis-à-vis Israel einiges wird ändern müssen, machte auch die neue US-Botschafterin bei den Vereinigen Nationen, Nikki Haley, in ihrer sehenswerten ersten Pressekonferenz nach einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates unmissverständlich deutlich! Die Zeiten, in denen man in der UN ungeschoren davonkommt, wenn man den Staat Israel unfair diskriminiert, kritisiert und attackiert, scheinen gezählt. Siehe Text & Video der Verlautbarung.

In eine ähnliche Richtung geht der Gesetzesvorstoß der US-Senatoren Ted Cruz und Lindsey Graham, der der UNO offen mit dem Verlust der substantiellen finanziellen Unterstützung seitens der Vereinigten Staaten droht , sollte UNSR Resolution 2334 nicht revidiert und zurückgenommen werden.

Orientiert sich Europa unter deutscher Führung an den USA?

Inmitten all der profunden Umwälzungen, die mit dem Brexit und dem Wahlsieg von Donald J. Trump in den USA ihren Anfang genommen haben und angesichts der eindeutig israelsolidarischen Töne aus dem neuen Washington, aber auch aus London (Theresa May hob, für britische Verhältnisse ungewöhnlich, Israel in einer Rede vor den Republikanern in Philadelphia deutlich als Verbündeten Großbritanniens hervor ), ist die Frage, wie sich Deutschland hier positioniert. Barack Obamas letztes Telefonat im Amt galt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ist die Bundesregierung unter Merkel Erbin der obama’schen Außenpolitik vis-à-vis Israel geworden? Äußerst Trump-kritische Töne von Steinmeier, Schulz und Gabriel lassen zumindest tiefe Gräben zwischen den transatlantischen Partnern entdecken – existieren diese auch gegenüber der sich gerade stark ändernden Haltung Amerikas zu Israel?

In der jüngsten Vergangenheit gab es auch in der Bundesrepublik Deutschland eine Umverteilung wichtiger Posten – und zwar innerhalb der SPD-Troika Steinmeier, Schulz, Gabriel: Der bisherige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist als Nachfolger Joachim Gaucks und zwölfter Bundespräsident ins Schloss Bellevue aufgestiegen, ins Auswärtige Amt ist an seiner Stelle nun als der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gewechselt und dann gibt es da noch den SPD-Kanzlerkandidaten, alten Präsidenten des Europaparlaments und neuen Parteivorsitzenden Martin Schulz, der die SPD in den Bundestagswahlkampf 2017 führen soll. Allen drei Politikern ist ein starkes Engagement gegen Antisemitismus gemein, Martin Schulz beispielsweise hat seinerzeit damals den Holocaust-Gedenktag zu einem offiziellen Gedenktag im Kalender des europäischen Parlaments gemacht. Doch was es ihre heutigen Einstellungen und Positionen bezüglich Israel betrifft, gibt es einigen Klärungsbedarf:

Altlasten

So schrieb Gabriel 2012 in einem Facebook-Post , den er bis heute noch nicht gelöscht hat: „Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Neben der Nutzung des BDS-Terminus „Apartheid-Regime“, was laut dem südafrikanischen Abgeordneten Kenneth Meshoe, der selbst unter Apartheid leben musste, eine Beleidigung aller Opfer von Apartheid und eine Entwertung der unter dieser Ideologie verübten Gräuel darstellt, gibt es keine Erwähnung des Umstandes, dass Hebron auch schon damals eine der Hamas-Hochburgen und damit ein kontinuierliches Sicherheitsrisiko für Israel ist, auf das Israel entsprechend zu reagieren gezwungen ist. Die Jüdische Allgemeine kritisiert ebenfalls den Umstand, dass Gabriel es nach dem Atomabkommen mit dem Iran nicht eilig genug haben konnte, in den Iran zu reisen, um deutsche Geschäfte anzukurbeln – er forderte zwar eine Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israels – ließ sich aber von der offensichtlich Weigerung des Iran dieser nachzukommen nicht im Geringsten die Geschäfte verderben. Selbst die Absage des Treffens mit dem iranischen Außenminister in Teheran durch seinen jetzigen „Kollegen“ Javad Zarif aufgrund dieser Forderung Gabriels, vermochte ihn in seinen Bestrebungen Geschäfte mit dem Staat einzuleiten, in dem Holocaustleugnung und das Ziel der Auslöschung Israels Staatsdoktrin sind, nicht zu verunsichern .

Auch Martin Schulz gelang bei seiner Rede in der Knesset ein Malheur, als er ungeprüft falsche Zahlen, die ihm bei seinem Besuch bei der Palästinensischen Autonomiebehörde mitgeteilt worden waren, übernahm und Israel Verletzungen seiner Pflichten in der Wasserlieferung für die Palästinenser beschuldigte, obwohl Israel weitaus mehr Wasser liefert, als es das anhand der Verträge von Oslo müsste. Hat hier die im EU-Parlament so grassierende negative Voreingenommenheit gegenüber Israel, die manchmal zu ausgewachsener Israel-Feindschaft verkommt, ihre Spuren hinterlassen?

Zu alledem kommt der strategische Dialog, der seit 2013 zwischen der SPD und der Fatah-Partei von Mahmud Abbas aufgrund „gemeinsamer Werte und Ziele“ besteht.

Die Herausforderungen vor all den neugewählten oder neu eingesetzten politischen Leitern sind immens, Sigmar Gabriel sprach bei seiner Antrittsrede im Auswärtigen Amt von einer „Neuvermessung der Welt“, die gerade stattfände. Es bleibt zu hoffen, dass vor der Neuvermessung die Gerätschaften im Auswärtigen Amt einer Eichung und Rekalibrierung unterzogen werden.


Beitragsbild: Patrick Gruban, cropped and downsampled by PineUN General Assembly hallCC BY-SA 2.0