von Josias Terschüren
Juni 2017

Josias Terschüren

Bittersüße Freundschaft

Die deutsch-israelischen Beziehungen in Zeiten strategischer Neuausrichtungen

Die vergangene Woche hat exemplarisch und konzentriert gezeigt, welches große Potential, aber auch welche widerstreitenden Kräfte in den deutsch-israelischen Beziehungen verborgen liegen und am Wirken sind. Es ist wohl kaum je so deutlich zeitgleich zu Tage getreten: Das Positive, Verbindende und Gemeinsame, sowie auch das Trennende, Auseinandertreibende und Gegensätzliche. Die bilateralen Beziehungen beider Länder stehen vor großen Herausforderungen in einer Zeit, in der eine Neuordnung der Verhältnisse im Nahen Osten, verbunden mit gewaltigen Umwälzungen vonstatten gehen. Das Überschlagen der Ereignisse in Deutschland ist eng verbunden mit dem Umstand, dass die vergangene Woche auch die letzte Sitzungswoche des Bundestages in dieser Legislaturperiode war und dass damit eine Fülle von noch-zu-verabschiedenden Gesetzesvorhaben auf den Tisch kamen, die man im Eiltempo durchentscheiden wollte. À la „Ehe für alle“ setzte Berlin mit verschiedenen politischen Unterfangen zum großen Schlussspurt an, bevor man sich in die kurze Sommerpause und den anschließend stattfindenden Wahlkampf verabschiedete.

Doch der Reihe nach: Am Dienstag, den 27. Juni 2017 war der iranische Außenminister Javad Zarif in Berlin zu Besuch. Im Vergleich zu früheren Besuchen wurde er diesmal in noch offizielleren und höheren Ehren empfangen, Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Finanzminister Schäuble und Außenminister Gabriel standen auf dem Programm. Protokollarisch ungewöhnlich war der Umstand, dass der Außenminister eines Landes vom Bundespräsidenten empfangen wird, zumal es sich um den Außenminister des Iran handelt, dessen Ministerium noch am Wochenende zuvor am offiziell im Iran begangenen „Al-Quds-Tag“ zur Vernichtung Israels aufgerufen hatte.

Doch die obersten Politiker unseres Landes, allen voran Sigmar Gabriel, schreckte das nicht ab, das Existenzrecht Israels sei nicht verhandelbar, ließ man pflichtbeflissen, monoton und ohne Durchsetzungswillen verlauten, nur um dann zur Tagesordnung überzugehen, man dürfe ja schließlich die konfliktgeladenen Felder, in denen keine Einigkeit herrsche, nicht „missbrauchen“, um beispielsweise das Atomabkommen in Frage zu stellen, so die Argumentation Gabriels, laut dem Bericht der Bildzeitung. i Salopp gesagt: Nur weil der Iran dazu aufruft Israel auszulöschen, er auf den Straßen Teherans ein paar ballistische Raketen auffahren lässt und Countdowns zur Zerstörung Israels zur Schau stellt, muss man sich ja nicht das Geschäft verhageln lassen, dies sei dann doch ein Schritt zu weit, ein arger Missbrauch der vernachlässigbaren Uneinigkeit über den Umgang mit Israel. Kein Wort vom Holocaust, von der deutschen Staatsräson, kein Rückgrat, kein moralisches Aufbäumen, nur die spürbare Sorge um das Atomabkommen, Gabriel machte mehr als deutlich, dass Deutschland in jedem Fall daran festhalten würde, iranische Vernichtungsphantasien hin oder her.

Auf den Fluren des Auswärtigen Amtes verhallte so auch die deutliche Kritik des israelischen Botschafters ungehört: „Wir finden es falsch, dass die internationale Gemeinschaft bei ihrer Tagesordnung bleibt, während das iranische Regime stolz Raketen präsentiert, mit seinen Streitkräften Bürger in Syrien bombardiert, Terrororganisationen aufrüstet, den Holocaust leugnet und zu Israels Auslöschung aufruft“, sagte Israels Botschafter Yaakov Hadas-Handelsman zu BILD. „Es ist nicht zu begründen, warum der iranische Außenminister hier oder in anderen europäischen Ländern mit hohen Ehren empfangen wird.

Wir sind uns sicher, dass die Bundesregierung sehr genau weiß, wie eine klare Botschaft zum verheerenden Verhalten von Iran aussehen müsste.“

Auf diesen moralischen Tiefpunkt deutscher Politik am Dienstag, folgte unvermittelt die Sonnenseite deutsch-israelischer Beziehungen, als das Sicherheitskabinett tags drauf am Mittwoch beschloss, Israel drei weitere U-Boote der Dolphin-Klasse zu liefern und dabei ein Drittel der Beschaffungskosten von 1,5 Milliarden Euro, zu übernehmen. ii Diese U-Boote dienen nicht nur der maritimen Verteidigung Israels und seiner strategisch wichtigen Bohrinseln, sondern verfügen auch, so munkelt man, über die Kapazität atomar bewaffnet zu werden, was Israel eine strategisch unglaublich bedeutsame „Zweitschlagskapazität“ verleiht, die militärische Fähigkeit auch nach einem erfolgten Atomschlag in jedem Fall zurückschlagen zu können – nukleare Abschreckung nennt man das. Dass dieses Kalkül funktionieren kann, hat der Kalte Krieg mehr als bewiesen.

Doch nicht nur Israel profitiert vom Know-How des deutschen Partners, die deutsch-israelischen Beziehungen sind keine Einbahnstraße, sondern funktionieren auch in der anderen Richtung: Am selben Mittwoch entschied der Bundestag über einen Gesetzesvorschlag des Verteidigungsministeriums. Es ging um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland die hochentwickelten israelischen Heron-TP Drohnen leasen sollte. Während Israel nämlich weltweit führend auf dem Gebiet der Entwicklung und des Baus von Drohnen ist, hat Deutschland noch keine nennenswerten Kapazitäten auf diesem Gebiet aufgebaut. Hier wäre Deutschland klarer Profiteur gewesen, wenn die SPD nicht dagegen gestimmt hätte. Die potentielle Bewaffnungsfähigkeit der Drohnen und ein Absatz im Vertrag zur Ausbildung von Piloten an den Waffen, war den Genossen noch nicht ausreichend debattiert worden, sie ließen den Deal vorerst platzen, das Projekt wird dann wohl in der nächsten Legislaturperiode erneut aufgegriffen werden. iii iv

Dass Deutschland und Israel auch heute noch von ihrer historischen Verbindung und Freundschaft zehren, hat die Teilnahme Benjamin Netanjahus an der Trauerfeier zu Ehren Helmut Kohls vergangenen Samstag eindrucksvoll bewiesen. Netanjahu pries die Verdienste Kohls um die deutsch-israelischen Beziehungen und nahm für die Ehrung des großen Staatsmannes sogar Kritik in Kauf, fand die Trauerfeier doch an einem Sabbat statt – ein heikles Unterfangen für einen israelischen Ministerpräsidenten, noch dazu, wenn er mit ultraorthodoxen Parteien in einer Koalition steckt. v vi

Diese Woche dann hat sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel auf eine Reise zur arabischen Halbinsel begeben, es gilt, die Katar-Krise zu bewältigen und in der Neuordnung des Nahen Ostens die eigenen Interessen zu vertreten. Diese Krise schwelte schon lange, aber mit dem Nahost-Besuch von US-Präsident Trump trat sie offen zutage und droht seitdem aus dem Ruder zu laufen.

Anders als sein Vorgänger Barack Obama, hat Trump nämlich deutlich gemacht, dass er nicht an der Seitenlinie zuschauen wird, wie andere Mächte den Nahen Osten nach ihrem Gusto umformen, sondern dass er für die Interessen Amerikas in der Region einstehen und diese notfalls auch verteidigen wird. Der Raketenangriff auf die syrische Luftwaffenbasis von der aus der Chemiewaffenangriff auf Aleppo geflogen wurde, der Abschuss eines syrischen Kampfjets, der US-gestützte Rebellen angriff, die Verlegung eines Flugzeugträgers an die Küste Israels vor Haifa, der Showdown mit Nordkorea und China im chinesischen Meer (Nordkorea ist enger Partner des Iran, u.a. in der Raketen- und Nuklearforschung) und auch die diplomatischen Bemühungen der USA im Nahen Osten unter Trump sprechen eine eindeutige Sprache. Trump, der mit voller Kraft dabei ist, das desaströse Obama-Erbe in der Außen- und Sicherheitspolitik aufzuarbeiten, bezog in Riad ganz klar Position gegen den Iran und gegen die Terror-Unterstützer unter den arabischen Staaten, allen voran Katar. Diese Rede vii wird vermutlich den Nahen Osten mindestens genauso verändern, wie Obamas Kairo-Rede in 2009, allerdings entsprechend den Interessen des Westens, nicht dementgegen, wenngleich diese Veränderungen auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ohne kriegerische Handlungen ablaufen werden können. Diese Umwälzungen sind strategisch ganz im Sinne Israels, das unter Obama eine historische Kooperation mit den, ebenso von Obamas Policen negativ betroffenen arabischen Regimen in Kairo, Riad und Amman ausgebaut hat. Die Devise, die diese unwahrscheinliche Partnerschaft aus der Taufe gehoben hat lautet, der Feind meines Feindes ist mein Freund – das gemeinsame Interesse an einer Schwächung Irans, von Hamas, Hisbollah und der muslimischen Bruderschaft verbindet, dies ist in Israels Interesse, in Amerikas Interesse, im Interesse der Araber und sollte auch im Interesse Europas sein, wenn es denn Amerikas Abkehr von einem Alignment und Appeasement mit dem Iran folgen möchte. Um die Situation in Katar und deren Bedeutung richtig einordnen zu können, muss man sich dieses kleine Land etwas näher anschauen:

Das winzige Katar boxt auf der internationalen Bühne deutlich über seiner Gewichtsklasse. Mit reichen Öl- und Gasvorkommen gesegnet, fährt die Herrscherfamilie Al Thani mit ihren Ölmilliarden eine Strategie der Unabhängigkeit und Unberechenbarkeit und liegt historisch stets im Widerstreit mit Saudi-Arabien. Doha beherbergt auf seinem Territorium sowohl die 6. US-Flotte, als auch den strategisch hoch wichtigen Al Udeid Luftwaffenstützpunkt der Amerikaner, zudem hat es der Türkei aus strategischen Erwägungen heraus erlaubt, einen Luftwaffenstützpunkt auf seinem Gebiet zu errichten. Der Emir von Katar ist einer der größten Förderer der Hamas, deren Führer von Katar aus Terror planen konnten und sponsert verschiedene andere Terrororganisationen, auch im Konflikt in Syrien. Katar fördert gemeinsam mit dem Iran Gas im Persischen Golf und spielt mal mit den Saudis, mal mit den Iranern zusammen, je nachdem, wie die eigenen Bedürfnisse es gerade erfordern. In Europa kauft sich Katar in führende Marken und Vereine ein, seien es Paris St. Germain, FC Barcelona und FC Bayern München im Fußball oder VW und die Deutsche Bank in der Wirtschaft, Scheich Al Thani investiert munter mit und erwirbt sich dadurch Einfluss – sportliche Großereignisse wie die Fußball-WM oder perspektivisch die olympischen Spiele werden mit Milliarden-Programmen eingekauft. Mit dem, im arabischen Raum überaus einflussreichen, Fernsehsender Al-Jazeera und den sunnitischen Prediger Yusuf al-Qaradawi besitzt Katar ein mächtiges Sprachrohr in die muslimische Welt hinein und betreibt mit seinem Flughafen eines der zentralen Drehkreuze für den europäisch-asiatischen Luftverkehr. Kurzum, die Rolle und Bedeutung Katars ist nicht zu unterschätzen. Durch die deutlichen Signale der Trump-Administration ermutigt, drohten die sunnitischen Staaten u.a. Ägypten, Jordanien, Jemen und die VAE unter der Leitung Saudi-Arabiens gemeinsam mit harten Sanktionen gegen Katar, sollte es einen beinahe unerfüllbaren 13 Punkte Plan nicht binnen zehn Tagen umsetzen. Sie verboten Al Jazeera in ihren Ländern, schlossen ihren Luftraum, Grenzen, Seehäfen, wiesen Kataris aus ihren Ländern aus und setzen das kleine Golf-Emirat damit massiv unter Druck. Die Situation ist mittlerweile in eine Eskalationsspirale geraten und droht in einen bewaffneten Konflikt auszuarten. Stimmen nach einem korrigierenden diplomatischen Eingreifen Amerikas werden lauter. viii In dieser Situation versucht nun Sigmar Gabriel deutsche Interessen, allen voran das Umgehen eines bewaffneten Konfliktes und das Sicherstellen der Unantastbarkeit des Atomabkommens mit dem Iran und die gleichzeitige Offenheit für wirtschaftliche Beziehungen mit den arabischen Nationen durchzusetzen. Deutschland bewegt sich zurzeit weg von Washington und setzt neben verstärkter Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, im Nahen Osten auf die Zusammenarbeit mit der selbstkreierten Regionalmacht Iran, das hat der Berlinbesuch Javad Zarifs deutlich zu Tage gebracht, Außenminister Gabriel konnte das gar nicht oft genug betonen. Wirtschaftliche Interessen sind Trumpf. Israel hingegen, das sich auf einem historischen Kurs der Kooperation mit den sunnitischen Staaten und in einem rasanten Prozess der Wiederannahme und Unterstützung seitens der US-Regierung wiederfindet, hat strategisches und existenzielles Interesse an der Weiterentwicklung der Kooperation auf der anderen Seite des Persischen Golfes. Es bleibt zu hoffen, dass die Wurzeln der deutsch-israelischen Beziehungen stark genug und die Diplomaten und politischen Leiter beider Nationen bedacht und weise genug sind, diese Spannung auszuhalten. Deutschland sollte seine unkritische Annäherung an Teheran überdenken, sie ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht zu rechtfertigen und gefährlich – Israel ist und sollte strategischer Partner der Bundesrepublik im Nahen Osten sein. Einer engen Kooperation mit den arabischen Staaten steht das heute nicht mehr entgegen, im Gegenteil.


http://www.bild.de/politik/ausland/iran/zarif-besuch-bei-gabriel-52330522.bild.html
ii http://www.n-tv.de/politik/Berlin-liefert-Israel-weitere-U-Boote-article19915393.html
iii https://www.heise.de/tp/features/Kampfdrohnen-fuer-die-Bundeswehr-Gericht-gibt-gruenes-Licht-3730343.html
iv https://www.welt.de/politik/deutschland/article166046213/Bundeswehr-muss-Aus-fuer-Kampfdrohnen-ausbaden.html
http://embassies.gov.il/berlin/NewsAndEvents/Pages/Premierminister-Netanyahu-beim-Trauerakt-fur-Helmut-Kohl.aspx
vi http://www.jpost.com/Israel-News/Benjamin-Netanyahu/Netanyahu-risks-angering-religious-Jews-with-Shabbat-attendance-at-Kohls-funeral-498500
vii https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2017/05/21/president-trumps-speech-arab-islamic-american-summit
viii https://foreignpolicy.com/2017/06/27/its-time-for-the-trump-administration-to-step-up-in-the-qatar-crisis/


Beitragsbild: Ein DahmerRAHAV 7203CC BY-SA 4.0

Monitoring Report – Juni 2017
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