von Josias Terschüren
März 2017

Josias Terschüren

Die Israelisierung des Antisemitismus

Wachsender Antisemitismus in Europa und die besondere Verantwortung Deutschlands

Der Antisemitismus in Europa nimmt zu, in einigen Ländern, wie z.B. Frankreich und Großbritannien verzeichneten die judenfeindlichen Vorfälle im letzten Jahr einen Anstieg von bis zu 36%, so berichtete es die Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein, in einer Arbeitsbesprechung im Deutschen Bundestag, organisiert von der Initiative 27. Januar. Doch parallel zu diesem erschreckenden Phänomen nehmen auch die Anstrengungen von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite her zu, den modernen Antisemitismus besser zu erforschen und zu verstehen, mit dem Ziel ihn eindämmen und zurückdrängen zu können. Unerlässlich für dieses Ziel ist hierzu eine Definition des Antisemitismus an sich.

Was genau verstehen wir unter Antisemitismus?

Eine gute Übersicht über die Historie des Unterfangens zu einer Arbeitsdefinition des modernen Antisemitismus zu gelangen und diesen auf staatlicher Ebene anerkannt und in die Praxis umgesetzt zu bekommen, vermittelt der Artikel von Andrew Baker vom American Jewish Committee, einer global aktiven jüdischen Organisation, die sich in ihrem Bemühen um diese Sache sehr verdient gemacht hat. Nach der Erarbeitung und teilweisen Implementation einer Definition auf EU-Ebene und deren späterer Rücknahme, einigten sich die 31 Mitgliedsstaaten der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) auf ihrer Konferenz vom Mai 2016 in Bukarest auf eine Arbeitsdefinition des Antisemitismus, die mit Beispielen dessen versehen ist, wie sich der moderne Antisemitismus ausdrückt oder ausdrücken kann. Bemerkenswert ist hierbei, dass 7 von 11 dieser Illustrationen im direkten Zusammenhang mit dem jüdischen Staat Israel stehen – Experten sprechen von der antizionistischen Form des Antisemitismus oder von der Israelisierung des Antisemitismus.
Antizionistischer Antisemitismus im Vordergrund

So erklärt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seiner Broschüre Antisemitismus im politischen Extremismus. Ideologische Grundlagen und Argumentationsformen: „Aktuell steht der antizionistische Antisemitismus im Vordergrund – eine Form des Antisemitismus, die über politische Lager hinausreicht. Sie wird auch von solchen Personen artikuliert, die einen rassistischen Antisemitismus niemals goutieren würden. Israel wird in diesem Konstrukt zu einer Projektionsfläche für antisemitische Ressentiments. Seine Existenz wird zu einem Grundübel und zu einer Gefahr für den Frieden erklärt. Der antizionistische Antisemitismus negiert das Existenzrecht Israels und diffamiert den jüdischen Staat, indem er ihm einen „Vernichtungskrieg“ und eine Politik der „Ausrottung“ vorwirft. Zusammengefasst sind es die drei Ds, die eine Unterscheidung zwischen sogenannter Israelkritik und einem antizionistischen Antisemitismus ermöglichen: Delegitimierung, Dämonisierung, doppelte Standards.“ In einer Antwort auf eine aktuelle kleine Anfrage von MdB Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) macht sich die Bundesregierung diese Definition des antizionistischen Antisemitismus vom BfV zu eigen. Die deutsche Bundesregierung versteht demnach, dass Antizionismus Antisemitismus ist. Das ist von Herzen zu begrüßen!

Das Gefährliche an dieser modernen Form des Antisemitismus gegen den „Juden unter den Nationen“ ist nämlich, dass er anders als der rassistische, antijudaistische oder der unter Rechtsextremen weit verbreitete sekundäre Antisemitismus (softe oder harte Holocaustleugnung) gesellschaftlich weniger stark stigmatisiert ist und weit bis in den politischen und gesellschaftlichen Mainstream hineinreicht und dabei eine gefährlich große integrative Kraft aufweist. Der Soziologe Klaus Holz meint dazu: „Im antizionistischen Antisemitismus können sich der islamistische, der rechtsradikale, der marxistisch-leninistische und der globalisierungskritische Antisemitismus treffen.“

Antisemitismus und Antizionismus unter Flüchtlingen und Muslimen

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Tendenz der vermehrten Begehung antisemitischer und antizionistischer Straftaten in Deutschland durch muslimische Deutsche und Nicht-Deutsche, sticht eine Antwort der Bundesregierung auf die oben genannte kleine Anfrage der Grünen ganz besonders heraus.

Und zwar wird die von der unabhängigen Antisemitismus-Expertenkommission des Bundestags geforderte Einrichtung einer Unterkategorie zu den antisemitischen Straftatbeständen in (bundes-) polizeilichen und nachrichtendienstlichen Berichten, um die Information, ob der Straftäter einen Migrationshintergrund besitzt und falls ja, was für einen, abgelehnt.

Dabei berichtet das Bundesministerium des Innern in einer 2011 herausgegebenen Studie: „Deutsche Muslime und nichtdeutsche Muslime äußern somit signifikant größere Vorurteile gegenüber Juden als deutsche Nichtmuslime.“

In Anbetracht der Flüchtlingsbewegung und dem zu erwartenden Anstieg von antisemitischen Straftaten durch Migranten und Asylanten, die in einem antisemitisch und antizionistisch geprägten Kulturkreis aufgewachsen sind, kann man daraus nur folgern, dass die Bundesregierung diese Problematik anscheinend nicht sehen WILL. So zeiht auch Bassam Tibi, emerierter Professor für Internationale Beziehungen und selbst Syrer, die Deutschen und ihre politischen Vertreter des Nicht-Wahrhaben-Wollens des islamischen Antisemitismus und Antizionismus unter den Flüchtlingen.

Deutsche Bestrebungen in die richtige Richtung

Auf anderen Ebenen spielt die deutsche Politik eine sehr positive Rolle und wird ihrem historischen Mandat, im Kampf gegen den Antisemitismus voranzugehen, gerecht. Unter dem Vorsitz der OSZE in 2016 versuchte Deutschland die Arbeitsdefinition des Antisemitismus der IHRA auch von den 57 Mitgliedsstaaten der OSZE adoptieren zu lassen, was Deutschland in einer diplomatischen Glanzleistung auch beinahe gelungen wäre, hätte sich nicht Russland der einstimmig zu fassenden Entscheidung verweigert und dagegen gestimmt. Im Umkehrschluss heißt das allerdings, das sämtliche 56 restliche Mitgliedsstaaten der OSZE mit der Arbeitsdefinition des Antisemitismus übereinstimmen, d.h. auch mit deren Aussagen zum Antizionismus. Das ist großartig!

Hier wäre Deutschland in der Pflicht, diese Haltungen auch in Brüssel und auf den Fluren der UNO zum Einen selbst an den Tag zu legen und zu artikulieren und andererseits auch von den anderen OSZE-Mitgliedsstaaten einzufordern. Beide supranationale Organisationen machen sich mit ihren teils einseitig gegen Israel diskriminierenden Policen und Haltungen der Übertretung der selbst anerkannten Definition des Antisemitismus schuldig, wie Professor Manfred Gerstenfeld stichhaltig argumentiert.

Noch Luft nach oben in der Anwendung der Arbeitsdefinition – nicht alles Gold was glänzt

Es ist erstaunlich, dass selbsterkannte antizionistisch-antisemitische Haltungen und Anschauungen so schnell unter den Tisch gekehrt werden, wenn andere Interessen im Spiel sind, so zu beobachten beispielsweise bei der Finanzierung der Palästinensischen Autonomiebehörde, die querfinanziert durch Berlin und Brüssel mit deren Wissen „Märtyrerrenten“ an Terroristen zahlt, bislang ohne einen nennenswerten Aufschrei aus Berlin oder Brüssel – oder auch bei Besuchen hochrangiger iranischer Delegationen und Politiker (Javad Zarif im Juni 2016 oder eine Delegation des Madschles in Berlin im März 2017) mit denen trotz ihrer Holocaustleugnung und ihrer Staatsdoktrin der Israelvernichtung und entgegen anderweitiger Äußerungen „freundschaftliche Beziehungen nur unter der Bedingung der Anerkennung des Existenzrecht Israels“ pflegen zu wollen, relativ normale Staatsbesuche und wirtschaftliche Geschäfte abgewickelt werden. Beide Haltungen sind moralisch nicht vertretbar, falsch, untergraben andere Fortschritte im Kampf gegen den Antisemitismus und belasten die Beziehungen zu Israel völlig zurecht und unnötig.

Auch in der Umsetzung der von der Expertenkommission vorgeschlagenen Punkte zur effektiveren Bekämpfung des Antisemitismus gibt es noch großen Nachholbedarf. Noch in dieser Legislaturperiode wird dem Bundestag ein zweiter Bericht der Expertenkommission vorgelegt werden. Als dessen zentrale Forderung wird die Einrichtung der Position eines Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung erwartet, dem idealerweise nach französischem Vorbild Bundesministerien rechenschafts- und berichtspflichtig wären. Ein solcher Posten würde bestenfalls hochrangig im Kanzleramt angesiedelt werden, notfalls etwas niedriger im Bundesministerium des Innern. Der Beauftragte wäre für das Monitoring, als Koordinator für die Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland und als Rapporteur für die Beratung der Bundesregierung in diesen Fragen zuständig und eine wichtige Anlaufstelle für zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen, die sich auf diesen Gebieten engagieren. Eine Deutsche in der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein, kann hier als Role-Modell dienen.


Beitragsbild: Daniel Ullrich, ThreedotsJudenstern JMWCC BY-SA 3.0