von Josias Terschüren
Mai 2017
Josias Terschüren
Zwei Präsidenten zu Besuch in Israel – Zwei Gesichter der Welt offenbaren sich
Besuch des deutschen Bundespräsidenten
Als der deutsche Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, Anfang Mai am Flughafen Ben Gurion zu seinem ersten Staatsbesuch in Israel eintrifft, hat er dank des aus dem Ruder gelaufenen Besuches seines Parteikollegen und Nachfolgers im Amt des Bundesaußenministers, Sigmar Gabriel, eine heikle Mission vor sich: Einerseits will die deutsche Seite die Wogen glätten, andererseits Haltung bewahren und den Israelis deutlich machen, dass man nicht bereit ist, nach Netanjahus Pfeife zu tanzen. So sieht man das in Berlin.
Deshalb verzichtete man, Gott sei Dank, auf eine weitere Eskalation, traf sich nicht noch einmal mit Breaking the Silence und B’Tselem, baute aber mit der Rede Steinmeiers vor Studenten der Hebrew University und mit der Kranzniederlegung vor dem Grab Jasser Arafats zwei deutliche Gegenpole mit ins Programm ein. Die Deutschen bemühten sich um Balance – Ausgeglichenheit – höchstes Ziel des Besuchs scheint die Vermeidung eines weiteren Eklats zu sein, die Politik der kleinen Nadelstiche das Mittel der Wahl, um dennoch nicht den Anschein zu machen, allzu sehr nachzugeben.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz i betonen sowohl Steinmeier, als auch Netanjahu diplomatisch, dass die deutsch-israelische Freundschaft unverbrüchlich sei, andauere – Steinmeier erklärt:
„Dieses Fundament ist so breit, dass ich glaube, dass es einigen Turbulenzen, wie sie in den letzten 14 Tagen stattgefunden haben, auch standhält. Dieses einzigartige Verhältnis unserer beider Staaten ist zu wichtig, um es allein an der Frage zu messen, wer legitime Gesprächspartner sind oder sein sollten.“
Ja, die Beziehungen zwischen beiden Ländern werden auch eine SPD-geführte deutsche Außenpolitik überstehen und überdauern, dass aber durch den obersten deutschen Diplomaten unnötig viel Geschirr zerschmissen worden ist, steht auf einem anderen Blatt. So angespannt sind die Beziehungen durch die im politischen Raum stattgefundenen plattentektonischen Verschiebungen momentan, dass einige Kommentatoren bereits von der Notwendigkeit eines „Resets“ ii der bilateralen Beziehungen sprechen!
Neben den diplomatischen Beteuerungen und gegenseitigen Versicherungen der Partnerschaft und Freundschaft machte Netanjahu in der gleichen Pressekonferenz aber auch deutlich, dass Israel seine Existenz nach dem Holocaust allein seiner Armee zu verdanken habe, „deren moralischer Standard den anderer Armeen, bei Weitem übertrifft“ – die Botschaft des israelischen Premiers so subtil und diplomatisch wie sie formuliert war, hätte aber gleichzeitig nicht deutlicher sein können: Eine Diskreditierung, Dämonisierung und Delegitimierung der israelischen Verteidigungsstreitkräfte wird Israel nicht akzeptieren. Steinmeier verzog keine Miene, nahm es stumm hin und ging auch in seinen Ausführungen mit keinem Wort darauf ein, nachdem Netanjahu seinen Part beendet hatte.
Deutschland, der moralische Kompass des Westens?
In seiner Rede an der Hebräischen Universität hingegen, kritisierte Steinmeier, ohne Benjamin Netanjahu namentlich zu erwähnen, jenen dennoch nicht weniger deutlich. Hatte Netanjahu bei der Pressekonferenz inhaltlich die bessere Figur gemacht, war die Rede an der Universität Steinmeiers goldene Möglichkeit, inhaltliche Treffer zu landen – er ließ sie nicht ungenutzt. Die auf den Gabriel Eklat Bezug nehmende Spitze von Steinmeiers Botschaft iii, die mit regierungskritischen israelischen Größen wie David Grossmann und Amos Oz abgestimmt war, lautete: „Für mich steht fest: Wer die Pluralität von Gesellschaft ablehnt, und wer anderen ihren legitimen Platz abspricht, stellt sich selbst ins Abseits. Demokratie heißt Herrschaft des Volkes. Aber das Volk gibt es nur im Plural. Das Volk hat viele Stimmen – Vielstimmigkeit ist der Sauerstoff von Demokratie! Und deshalb finde ich: Wer seine Stimme erhebt, wer Kritik übt, aber zugleich die Stimmen der anderen respektiert – der ist kein ‚Volksverräter‘ sondern eigentlich ein Volksbewahrer. Deshalb verdienen in meinen Augen zivilgesellschaftliche Organisationen, die Teil einer gesellschaftlichen Debatte sind, unseren Respekt als Demokraten.“
In seiner Rede kritisierte Steinmeier „Sprechverbote“ heftig, mahnte ehrlichen Umgang mit den Anfechtungen von Demokratie an und unterstellte Netanjahu, sich mit der Ablehnung von anderen, gemeint war Breaking the Silence, selbst ins Abseits zu stellen. Dabei lobte er Breaking the Silence anonym als „Volksbewahrer“ und zollte ihnen durch die Blume als Demokrat seinen Respekt.
Steinmeier zementierte damit die deutsche Position, die schon Gabriel vertreten hatte – eine gefühlte moralische Superiorität der neugefundenen deutschen humanistischen Gutmenschlichkeit vis-à-vis Israel. Eldad Beck drückte es so aus iv: „In einem kürzlich erfolgten Besuch in Israel demonstrierte er (Gabriel) den Wunsch Berlins, moralischer Kompass des Westens zu werden.“ Doch der moralisch erhobene Zeigefinger Berlins ist hier völlig Fehl am Platz, der Kompass irrt. Es steht doch völlig außer Frage, dass es in Israel eine Pluralität der Gesellschaft gibt und diese von Netanjahu und seiner Regierung akzeptiert wird. Niemand in Israel käme auf den Gedanken, dem zu widersprechen, dass es das Volk nur im Plural gibt, es gibt wohl kaum eine heterogenere, pluralistischere Gesellschaft als die Israels, aber der Kern des Problems rund um „Breaking the Silence“ und „B’tselem“ ist ja gerade der, dass beide Gruppen eine in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung verschwindend geringe Minderheit darstellen. Sie sind eine extremistische Randgruppe der Gesellschaft, die keinerlei gesellschaftliche Legitimation oder Relevanz hätte, würden sie nicht durch europäische Steuergelder gedopt und von ausländischen Regierungen, wie der deutschen, sowie von den westlichen Medien künstlich hofiert werden, weil sie deren politische Ziele unterstützen – nur deshalb sind sie überhaupt Teil der von Steinmeier erwähnten „gesellschaftlichen Debatte“. Beide Organisationen spiegeln eben nicht „das Volk“ wider. Im Gabrielschen Terminus gesprochen sind sie „das Pack“ – sie vertreten eine Position abseits von und entgegen dem demokratisch legitimierten, gesellschaftlichen Konsens der israelischen Gesellschaft. Natürlich haben sie das Recht diese Meinung zu vertreten, aber es ist rüde, wenn eine andere Regierung (in diesem Fall die deutsche) ihnen Finanzen und Legitimation zukommen lässt und so tut, als seien sie die Stimme des Volkes, die Stimme der Demokratie – das ist ein politisches Theater, ein schlechter Film! Das ist keine natürliche „Anfechtung von Demokratie“, das ist ein bewusstes Untergraben von Demokratie!
Holocaustgedenken und Ehrung von Terrorpaten
Steinmeier besuchte außerdem das Grab von Jasser Arafat, dem terroristischen Anführer der PLO, und legte in Ramallah am 9. Mai 2017 einen Kranz nieder. Nach offiziellen Angaben war dies das erste Mal, dass ein deutscher Bundespräsident den ehemaligen PLO-Chef auf diese Weise würdigte. Seit 1964 war Arafat für viele Terroranschläge gegen Israelis und israelische Einrichtungen verantwortlich, u. a. für die Intifada und mit dieser für Hunderte Tote. In 1972 erteilte Arafat den Anschlägen auf die Münchener Olympiade seinen Segen v. 1994 erhielt er zusammen mit Jitzhak Rabin und Schimon Peres den Friedensnobelpreis. Die Parallele der Kranzniederlegung im Programm des Bundespräsidenten wirft ein schlechtes Licht und hat einen bitteren Beigeschmack. Wenn er auf israelischer Seite durch die Kranzniederlegung der 6 Millionen durch Nazi-Deutschland ermordeten Juden gedenkt, hat das seine volle Berechtigung. Wenn er aber auf der palästinensischen Seite einen Judenmörder und Terroristen, der Arafat nun einmal war – Nobelpreis hin oder her –, mit der gleichen Geste bedenkt, fällt es schwer, für solch eine geschmacklose Nivellierung passende Worte zu finden, die der Ungeheuerlichkeit dieser moralischen Fehlleistung Ausdruck verleihen könnten. Auch Clemens Wergin, Washington-Korrespondent der Welt twittert vi passend: „Erst besucht der Bundespräsident Yard (sic!) Vashem, dann legt er Kranz am Grab eines Judenmörders ab. Das nennt man wohl moralische Äquidistanz.“
Präsidialer Besuch par Excellence
Vergleichsweise bilderbuchmäßig verlief der Besuch des als zu unpräsidial verschrieenen US-Präsidenten Donald J. Trump in Israel. Trump fand einen Stil der Kommunikation durch Handlungen und Gesten, der mehr ausdrückte, als Worte es vermögen. Alles inhaltlich Wesentliche hatte er schon bei seinem Aufenthalt in Riad in seiner Rede vor dem Arabisch-Islamisch-Amerikanischen Gipfel vii verkündet: Im Grundsatz eine Rückkehr zur amerikanischen Außenpolitik der Prä-Obama-Ära: Die alten Verbündeten würden von den USA wieder unterstützt, gemeinsamer Hauptfeind und regionaler Aggressor Nr. 1 sei der Iran. Trump forderte die anwesenden Regierungschefs unmissverständlich dazu auf den Terror aktiv zu bekämpfen und islamistischem Hass entschieden entgegenzutreten. Als konkrete Auswirkungen seiner Rede ist die vehemente Aufforderung sunnitischer Nationen (Saudi Arabien, Ägypten, Jordanien, Jemen, VAE etc.) an das Emirat Katar zu verstehen, sich vom Iran zu distanzieren und jegliche Terrorfinanzierung einzustellen. In Israel brachte Trump freundschaftliche, warme Worte im Gepäck mit – er vermied tunlichst jegliche Erwähnung der Zweistaatenlösung, der Siedlungen oder sonstiger heißer Eisen, zerstörte aber mit einem einzigen Besuch an der Klagemauer die Aussagen sämtlicher UNESCO-Resolutionen, die behaupteten, Jerusalem, der Tempelberg und die Klagemauer hätten nichts mit den Juden oder dem Judentum zu tun, sondern seien rein islamische Stätten. Er erschien an der Klagemauer mit einer jüdischen Kippa auf dem Kopf, in Begleitung von Rabbi Shmuel Rabinovich. Kein Imam oder Pastor war an seiner Seite, sondern ein Rabbi – ein stilles, aber starkes Statement der Anerkennung des jüdischen Charakters der Örtlichkeit, wer Ohren hat zu hören, der höre.
Während seines Besuches in Israel veröffentlichte das Weiße Haus auf seiner Live Website einen Wartebildschirm viii vor der Videoübertragung der Pressekonferenz von Trump und Netanjahu. Darauf stand „President Trump Gives Remarks with Prime Minister Netanyahu“ und in der Zeile darunter „Jerusalem, Israel“ – auch hier wieder eine kurze, stumme, stark symbolische Handlung! Noch vor einigen Monaten hatte Trumps Vorgänger Barack Obama für einen Eklat gesorgt, als er nachträglich in einem Pressestatement das Wort „Israel“ in der Beschreibung der Örtlichkeit „Jerusalem, Israel“ durchstreichen ließ, um deutlich zu machen, dass seine US-Administration Jerusalem nicht als Teil Israels anerkannte. Unter Trump wurde hier die entgegengesetzte Botschaft gesendet.
Der Besuch Trumps fiel zudem genau auf das 50. Jubiläum des Jerusalem-Tages, an dem Israel der Befreiung Jerusalems in 1967 gedenkt und diese feiert, ein hoch symbolisches Datum! Viele erwarteten während seines Besuches ein Bekenntnis zu Jerusalem als Hauptstadt Israels und die Ankündigung, er werde die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen, doch beides blieb aus. Schlimmer noch, am 1. Juni 2017 unterzeichnete er entgegen seinen Wahlversprechen zum ersten Mal in seiner Präsidentschaft einen „presidential waiver“, ein Memorandum ix, durch das er die Verschiebung der US-Botschaft um ein halbes Jahr zurückstellte. Alle Präsidenten vor ihm haben damit alle halbe Jahre den vom US-Kongress im „Jerusalem Embassy Act“ von 1995 gefassten Entschluss der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verhindert. Nun auch er zum ersten Mal. In einer Presseerklärung zum Vorgang x versucht er deutlich zu machen, dass sich an seinem Ziel der Verschiebung der Botschaft nichts geändert habe, die Frage sei nicht ob, sondern wann dieser Schritt geschehen werde.
Das sei gesagt, um exemplarisch zu belegen, dass auch die USA unter Trump und Israel ihre Differenzen haben, aber dass der Israelbesuch Trumps dennoch unvergleichbar respektvoller, würdevoller, subtiler und diplomatisch geschickter arrangiert worden ist, hier haben deutsche Politiker so scheint es, noch eine Menge zu lernen. Trumps Besuch atmete Respekt und Anerkennung vor der ältesten und segensreichsten Kultur der Welt und den Errungenschaften Israels, während die deutschen Staatsbesuche auf subtile Weise (Steinmeier) oder grobschlächtig (Gabriel) die Arroganz und moralische Erosion des westlichen Gutmenschentums zur Schau trugen.
Es ist an der Zeit, die deutsche Hybris wieder zu erden, ein guter Anfang könnte die überfällige Ausstrahlung der exzellenten und aus politischen Gründen zurückgehaltenen Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ xi sein – die Bild-Zeitung hatte die Dokumentation am 13. Juni für 24h online gezeigt. Zu gefährlich scheint die ungefiltert gezeigte Wahrheit den Intendanten von WDR und ARTE zu sein, die Einen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Das WDR und ARTE haben wohl zu spät bemerkt, wie politisch brisant das Material ist, legt es denn mit einem gnadenlos ehrlichen Ansatz bestehende Probleme und Fehlhaltungen und -leistungen der deutschen und europäischen Politik offen. Diese Dokumentation ist der dringend notwendige Feuerlöscher für deutsche und europäische Hybris gegenüber Israel, sämtliche Problemfelder werden hier schonungslos ehrlich aufgedeckt: Das völlig aus dem Ruder gelaufene und anti-demokratische NGO-Funding und die Förderung der UNWRA als deutscher/europäischer Beitrag zur Hamas & PA-Kleptokratie, sowie zur Konflikt-Aufrechterhaltung und -zuspitzung und eine große Passivität gegenüber dem Antisemitismus. Wir haben wahrlich zuerst einmal vor unserer eigenen Türe zu kehren, uns an die eigene Nase zu fassen, bevor wir uns über Israel echauffieren.
i https://www.youtube.com/watch?v=kZ1d1EOwboA
ii https://www.algemeiner.com/2017/05/22/its-time-to-reset-german-israeli-relations/
iii http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2017/05/170507-Hebrew-Universitaet.html
iv http://www.israelhayom.com/site/newsletter_opinion.php?id=19137
v https://de.wikipedia.org/wiki/Geiselnahme_von_M%C3%BCnchen#cite_note-22
vi https://twitter.com/clemenswergin/status/862268960288509953
vii https://www.whitehouse.gov/blog/2017/05/21/president-trump-delivers-remarks-arab-islamic-american-summit
viii https://twitter.com/AvivaKlompas/status/866707878010400769
ix https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2017/06/01/presidential-memorandum-secretary-state
x https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2017/06/01/statement-american-embassy-israel
xi http://www.bild.de/politik/inland/bild/juden-hass-doku-reax-52168888.bild.html
Beitragsbild: Amit Moscovich, Ben gurion international airport terminal 3, marked as public domain, more details on Wikimedia Commons