von Josias Terschüren
Oktober 2017

Josias Terschüren

Deutsche Außenpolitik in turbulenten Zeiten

Rejustierung des Koordinatensystems nach der Wahl

Deutschland hat gewählt – und es wird deutlich, dass Deutschland sich in den letzten vier Jahren verändert hat. Diese Veränderungen sind im Wahlausgang manifest geworden und werden erhebliche Auswirkungen auf die deutsche Außenpolitik als Ganzes und im kleineren Maße wohl auch auf die deutsch-israelischen Beziehungen haben: Die Volksparteien, wenn man sie denn noch so nennen kann, haben herbe Verluste erlitten: CDU, CSU und SPD haben allesamt das schlechteste Ergebnis der jeweiligen Parteigeschichte eingefahren.

Außenpolitische Veränderungen: Weichenstellungen für die Zukunft

Die Flüchtlingspolitik hat diese Wahl bestimmt und entschieden wie kein anderes Thema. Die Große Koalition wurde abgewählt, abgestraft.

Dass die Flüchtlingspolitik in den kommenden Jahren auch die deutsche Außenpolitik dominieren wird, hat Merkel spätestens mit der Berufung ihres bisherigen Kanzleramtsleiters für Flüchtlingspolitik, Dr. Jan Hecker, als designierten Nachfolger für ihren bisherigen außenpolitischen Berater, Dr. Christoph Heusgen, deutlich gemacht.

Heusgen, der über 12 Jahre lang Angela Merkels außenpolitischer Berater im Kanzleramt und damit eine Art Schatten-Außenminister war, hat einen neuen Posten als deutscher Botschafter bei der UNO übernommen. i Mit Heckers Nominierung hat Merkel die Flüchtlingspolitik zur Königsdisziplin in der neuen deutschen Außenpolitik erhoben. Fluchtursachenbekämpfung, Festlegung sicherer Drittstaaten, Reorganisation des europäischen Grenzschutzes und der gemeinsamen Migrationspolitik sowie Flüchtlingsdeals à la Türkei stehen in Zukunft ganz oben auf der Agenda – und das nicht nur wegen der CSU.

Nach 8 Jahren unter SPD-Führung wird zudem auch das Auswärtige Amt in Zukunft wohl von einer anderen Partei geführt werden, nachdem die Sozialdemokraten angekündigt haben, in die Opposition wechseln zu wollen.

Und auch am dritten Ort, an dem deutsche Außenpolitik entscheidend mit erdacht, geplant und diskutiert wird, stehen Veränderungen ins Haus – die Rede ist vom Deutschen Bundestag.

Durch den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag – und das als drittstärkste Kraft nach CDU und SPD – und auch durch den Wiedereinzug der FDP werden die Karten wohl nicht nur bezüglich der Sitzungsordnung und Fraktionsräumlichkeiten neu gemischt werden, sondern auch gerade innerhalb anderer Politikfelder, so auch in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Orientierungspunkte im neuen Koordinatensystem

Inmitten all der Umschwünge, Veränderungen und Unwägbarkeiten lohnt es sich deshalb, einen näheren Blick auf belastbare Aussagen der Parteien zu werfen, um ein Verständnis für das (neue?) Koordinatensystem deutscher Außenpolitik zu erlangen. Das vorliegende Papier analysiert zu diesem Zweck die Wahlprogramme der sieben nun im Bundestag vertretenen Parteien sowie deren zentrale Stellungnahmen, die dem Projekt Wahlprüfsteine 2017 Deutschland-Israel vorliegen, das der Initiative 27. Januar e.V. und Honestly Concerned e.V. gemeinsam durchgeführt haben. Die Parteistellungnahmen sind auch online veröffentlicht worden. ii

AfD und Die LINKE: Die Sprachlosigkeit der Parteien im Rechts- und Linksaußen-Spektrum

Interessant sind nicht nur die Antworten, die gegeben worden sind, sondern auch die, die nicht gegeben wurden: Weder die Alternative für Deutschland (AfD) noch Die LINKE haben für das Projekt Wahlprüfsteine 2017 Deutschland-Israel eine Parteistellungnahme abgegeben. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die von den Wahlprüfsteinen behandelten Themen von Israel, Nahostpolitik, über Antisemitismus bis hin zum Holocaust-Gedenken parteiintern kontroverse Themen sind, in denen es den Parteien nicht gelungen ist, einen Konsens zu erreichen. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man die Wahlprogramme zur Bundestagswahl betrachtet: Die LINKE konnte sich gerade einmal zu rudimentären, stenografenhaft kurzen Bekenntnissen durchringen: Jüdinnen und Juden in Israel wird das Recht auf politische Selbstbestimmung zugestanden, man ist gegen Antisemitismus, steht für das Existenzrecht Israels und eine Zweistaaten-Lösung. iii Ausdrücklich bekennt man sich zu den „beispiellosen Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden“. Bei der AfD fallen die Stichworte „Israel“, „Naher Osten“, „Antisemitismus“, „Holocaust“, „Shoa“ / „Schoa“, „Juden“ oder „Weltkrieg“ im Wahlprogramm gar nicht. Unter der Überschrift „Deutsche Interessen durchsetzen“ hält die AfD zur Außen- und Sicherheitspolitik fest: „Deutschland ist als eine der bedeutenden Wirtschaftsnationen der Welt daran interessiert, zu allen Staaten gute Beziehungen zu pflegen und das friedliche Zusammenleben der Völker zu fördern.“ Das scheint Israel zumindest indirekt zu implizieren. iv

CDU/CSU: Staatsmännische Regierungsparteien: Israel gehört zur deutschen Staatsräson

Das Wahlprogramm der CDU/CSU beinhaltet eine Referenz zu Angela Merkels berühmtgewordener Rede vor der israelischen Knesset von 2008: „Das Existenzrecht und die Sicherheit Israels sind Teil der deutschen Staatsräson.“ v Diese besondere Verantwortung Deutschlands geht für die CDU/CSU so weit, dass eine Ablehnung des Existenzrechts Israels in einem Atemzug mit den grundsätzlichsten inneren Gefährdungen für die Bundesrepublik Deutschland genannt und hart sanktioniert wird: „Wer unsere demokratische Grundordnung bekämpft, das Existenzrecht Israels ablehnt, den inneren Frieden gefährdet oder gegen Recht und Gesetz verstößt, muss mit der ganzen Härte unseres Rechtsstaates rechnen.“ vi

Im regionalen „Bayernplan 2017“ der CSU ist nachvollziehbarer Weise kein direkter Bezug auf Israel enthalten, aber auch nicht auf den Holocaust. Dem Antisemitismus hingegen wird eine klare Absage erteilt. vii

Die Parteiantwort der CDU an das Projekt Wahlprüfsteine 2017 Deutschland-Israel gibt wesentlich weitreichenderen Aufschluss über Standpunkte der Partei zu besagten Themenkomplexen: Als eine in weiten politischen Kreisen unterstützte Ableitung der deutschen Staatsräson gilt die Lieferung deutscher Rüstungsgüter an den Staat Israel. Doch die CDU geht in ihrer Antwort noch einen Schritt weiter: „Deutsche Rüstungsexporte müssen der Sicherheit Israels dienen.“ viii Dieses Bekenntnis hätte weitreichende Auswirkungen auf deutsche Rüstungslieferungen in die Region! Kann man das als deutsches Pendant zum amerikanischen Konzept der „Qualitative Military Edge“ (Qualitativer Militärischer Vorteil) verstehen? Amerika verpflichtet sich darin dazu, bei Rüstungslieferungen an Israel und in die Region stets die Einhaltung eines qualitativen militärischen Vorteils für Israel zu gewährleisten. xi Eine ähnlich formelle Linie deutscher Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik wäre eine begrüßenswert klare und praktische Weiterentwicklung deutscher Staatsräson.

Weiterhin macht die CDU sehr deutlich, dass Frieden im Nahen Osten für sie nur über bilaterale Verhandlungen erreicht werden kann, d.h. sie schließt eine rein international herbeigeführte Lösung des Konfliktes, anders als andere Parteien, explizit aus. Auch der einseitigen Anerkennung eines Palästinenserstaates vor einer Friedenslösung erteilt die CDU eine klare Absage.

Den besonderen Beziehungen zu Israel steht die CDU eine höhere Gewichtung zu als dem „wünschenswerten Konsens der EU in außenpolitischen Fragen“, das würde bedeuten, dass man auch auf europapolitischer Ebene bereit ist, an israelsolidarischen Standpunkten festzuhalten. „Im Zweifelsfalle“ auch angesichts von Gegenwind aus anderen europäischen Staaten.

Die CDU lehnt die Praxis der Palästinensischen Autonomiebehörde, zu Gewalt und Terror anzustacheln, ab. Ebenso ablehnend steht sie Zahlungen von Märtyrerrenten gegenüber, schreibt diese aber spitzfindig oder leichtgläubig der PLO zu. x Demnach funktioniert der Hütchen-Spieler-Trick der Palästinenser auf diesem Gebiet nach wie vor.

Die „politisch saubere“ PA (Anerkennung Israels, Oslo-Verträge, an westliche Standards und Befindlichkeiten angepasste PR) streicht die Unterstützungszahlungen von hauptsächlich westlichen Staaten ein, die dann auf Umwegen über Budgethilfen der PA an die PLO von Letzterer an Terroristen weitergeleitet werden. Prangern westliche NGOs oder Diplomaten diese Praxis an, verweist man mit großer Unschuldsmiene auf die Eigenständigkeit der PLO. Im Westen will man einfach nicht sehen, was hier mit europäischen und auch deutschen Steuergeldern geschieht. xi Dieses heiße Eisen, so scheint es, wollte die CDU-geführte Bundesregierung schon in der vergangenen Legislaturperiode nicht anfassen. Das Auswärtige Amt jedenfalls gab sich auf Nachfragen von Volker Beck ahnungslos, wir berichteten in unserem Monitoring Report vom August 2016. Bleibt zu hoffen, dass hier unter einer neuen Regierung Merkel IV eine Vorzeichenänderung auch im Auswärtigen Amt durchgesetzt werden kann.

Ein weiterer Stolperstein, der Unverständnis hervorruft, ist eine bewusste Nicht-Antwort der CDU: Vom jüngsten Vorschlag der Expertenkommission zum Thema Antisemitismus einen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung einzusetzen und nach Möglichkeit im Kanzleramt anzusiedeln, hält die CDU nämlich nichts – im wahrsten Sinne des Wortes. Das solle die nächste Bundesregierung entscheiden. Vor dem Hintergrund, dass sich bei Abgabe der Parteistellungnahme durch die CDU natürlich schon abzeichnete, dass an der Union beim Thema Regierungsbildung kein Weg vorbei führen würde, ist diese Antwort fadenscheinig. Warum duckt man sich hier weg und bezieht nicht dezidiert Stellung? Bis auf diesen Makel und das Nicht-Wahrhaben oder Nicht-Wahrhaben-Wollen der Hütchen-Spieler-Tricks der Palästinenser und das damit verbundene Ausbleiben einer dringend notwendigen Konsequenz und harter Hand vis-à-vis der Palästinenser, lässt die Parteistellungnahme von CDU/CSU ein hohes Maß geschichtlichen Bewusstseins und Freundschaft für Israel erkennen.

SPD – Die zwei Gesichter der alten Tante

Die SPD bekennt sich in ihrem Wahlprogramm klar zur deutschen Schuld im Holocaust und tritt für eine „Erinnerungskultur – Gedenken und Erinnern“ ein – das passt auch hervorragend zu dem Engagement ihres Spitzenkandidaten Martin Schulz, unter dessen Ägide als Präsident des Europäischen Parlaments die Einrichtung eines Holocaust-Gedenktages vonstattenging. Auch die meisten anderen SPD-Größen haben sich in dieser Angelegenheit ähnlich verdient gemacht. Das Wahlprogramm führt aus: „Die Erinnerung an den systematischen Völkermord an den europäischen Juden bleibt für die Sozialdemokratie von außerordentlicher Bedeutung. Wir wollen die Verbrechen an bisher wenig erforschten Opfergruppen besser aufarbeiten.“ xii Diese Opfergruppen werden leider nicht weiter definiert. Es ist zu hoffen, dass der Gastbeitrag ihres bisherigen Außenministers Sigmar Gabriel in der Frankfurter Rundschau kein Indiz dafür ist, in welche Richtung die SPD mit ihrem Vorstoß bezüglich „bisher wenig erforschten Opfergruppen“ will, hatte dieser ja erst behauptet: „Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer der Nationalsozialisten.“ xiii

Israel wird im Wahlprogramm der SPD im Kontext der Nahostpolitik behandelt.

Die SPD beschwört dabei den unter Linken so beliebten Mythos internationaler Verantwortung für den Nahost-Konflikt – an den Fortschritten des Friedensprozesses werde die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft gemessen.

Der gleiche intellektuelle Fauxpas hat schon die europäisch-israelischen Beziehungen in einen desaströsen Sinkflug gezwungen. Die internationale Gemeinschaft sollte sich nicht in die aus dieser Logik zwangsweise resultierende Abhängigkeit von der Willigkeit der Palästinenser zum Friedensschluss begeben. Und Deutschland schon gar nicht. Gibt es nämlich aufgrund der historisch erwiesenen Unwilligkeit der Palästinenser, Frieden zu schließen, keinen Frieden, so leidet nach dieser Logik die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft. Diese sieht sich dann wiederum dazu gezwungen, noch ein paar Schippen draufzulegen, um Frieden zu erreichen. Erfahrungsgemäß läuft das auf größeren internationalen Druck auf Israel hinaus, die UN-Resolution 2334 vom Dezember 2016 ist dafür Paradebeispiel.

Das ist kein Friedensrezept, sondern das Rezept zur garantierten Zerschlagung der deutsch-israelischen Freundschaft und zur internationalen Isolation Israels. Das braucht und will Deutschland nicht, diese Idee ist sehr gefährlich.

Dennoch scheint der SPD dieses Mantra so wichtig zu sein, dass sie es innerhalb eines Absatzes gleich zweimal im beinahe identischen Wortlaut verwendet. xiv

Nach der Nennung der Auffassung, die Internationalisierung des Friedensprozesses sei die einzige Möglichkeit zur Lösungsfindung, will die SPD Frieden folgerichtig „Im Rahmen einer Verhandlungslösung“ erreichen – ausgeklammert ist hier das wichtige Schlüsselwort „bilateral“, das die CDU in ihrer Parteistellungnahme explizit verwendet. Diese momentan in Reihen der SPD vorherrschende außenpolitische Logik verheißt aus den oben genannten Gründen nichts Gutes für Israel.

Zwei Handlungen werden vom Wahlprogramm der SPD explizit als „einer Friedenslösung entgegenstehend“ gebrandmarkt: Illegaler Siedlungsbau (der von Israel kritisierte, aber nichtsdestotrotz verbreitete Usus, in diesem Kontext von „illegitim“ zu sprechen, hat sich seit der UNSC-Resolution 2334 weiter zu „illegal“ verschärft) und eine palästinensische Nicht-Ächtung von Terror, wenn man denn Märtyrerrenten, Glorifizierung von Terror und Anstachelung zu Aufständen und Anschlägen von Seiten der palästinensischen Anführer, nicht zuletzt von Mahmud Abbas, als „Nicht-Ächtung“ verharmlosen will. Stehen die jüdischen Häuslebauer also auf einer Stufe mit den Terror-Anstiftern, die Fußballturniere und öffentliche Straßen und Plätze nach Massenmördern und Terroristen benennen?

Außerdem spricht man wieder, wie zuletzt im Frühjahr 2017 Steinmeier bereits in Brüssel und Paris, von „Israel und Palästina“. Der mit dem arabischen Angriffskrieg auf den neugegründeten Staat Israel notwendig gewordene Friedensprozess spielt sich doch nicht zwischen Israel und Palästina ab, wie die SPD behauptet. Es gab damals keinen Staat Palästina, es gibt heute keinen Staat Palästina.

Was will die SPD mit der utopischen, verbalen Vorwegnahme der Staatsgründung denn erreichen, wenn man den Palästinensern ansonsten expressis verbis attestiert, dass „in den palästinensischen Gebieten [..] auf allen Ebenen weitere demokratische Fortschritte nötig“ sind und sich in der Parteistellungnahme für die „Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates“ einsetzt?

Die Parteistellungnahme der SPD besteht aus zwei Seiten, die die zwei Seiten der alten Tante SPD in ihrer Haltung gegenüber Israel exemplarisch veranschaulichen:

Volker Norbisrath beginnt die Parteistellungnahme für die SPD mit dem Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands für den Holocaust und betont auch völlig zurecht die Errungenschaft der seit 2008 eingerichteten jährlichen Regierungskonsultationen zwischen Deutschland und Israel. Die damalige große Koalition hat hier wirklich Großes geleistet und erreicht! Auch die gelungenen Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel werden genannt. Und außerdem die deutschen Verdienste im Kampf gegen Antisemitismus, für das Holocaust-Gedenken und für Israel auf dem internationalen Parkett: Auf den Fluren der UNO und der EU. xv

Wenn man dann vom Gelesenen hoffnungsvoll gestimmt die nächste Seite aufschlägt, kommt das böse Erwachen – jetzt wird die Geschichte und besondere Verantwortung Deutschlands zum Motiv für deutsche Friedensbemühungen (zulasten der Interessen Israels) hochstilisiert und als Begründung für subjektive, moralische Superiorität herangezogen. Es folgen drei kurze Absätze, die es in sich haben. Man werde (Anm. d. Autors: Ob Israel nun wolle oder nicht) „weiterhin mit aller Kraft Initiativen zur Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses unterstützen“ – auch hier wird die internationale und europäische Ebene und Rolle besonders betont. Was steht laut der SPD dem „umfassenden Frieden im Nahen Osten“ im Weg? Israelische Siedlungen! Sie seien „völkerrechtswidrig“, „Hindernis für den Frieden“ und „eine Gefahr für die Grundlagen der Zwei-Staaten-Lösung“. Es folgt eine Apologetik der SPD, man sei in seiner Herangehensweise ja ausgeglichen und fair, würde Kontakte zu beiden Seiten halten, auf beiden Seiten Projekte fördern. (Gilt Breaking the Silence der SPD tatsächlich als israelisches Projekt?) Doch sucht man in der Parteistellungnahme vergebens nach einer Nennung von palästinensischem Terror, palästinensischer Anstachelung zu oder Glorifizierung von Terror, auch Märtyrerrenten oder alleine der objektive, historische Track-Record von israelischen Friedensangeboten, die palästinensische Anführer ausgeschlagen haben, finden keine Erwähnung. Die Realität palästinensischen Hasses und Unwilligkeit zum Frieden blendet die SPD völlig aus, nennt sie nicht, mit keinem Wort. Dafür beschwört sie die Illusion eines lebensfähigen palästinensischen Staates, der Seite an Seite in Frieden und Sicherheit mit Israel lebt – für dessen Schaffung will die SPD sich einsetzen. Ende der drei Absätze. Man fährt fort, indem man auf das blühende jüdische Leben in Deutschland und die Einrichtung eines Sonderbeauftragten für jüdische Organisationen im Auswärtigen Amt durch Frank-Walter Steinmeier hinweist, als wäre nichts geschehen.

Die SPD hat zweifelsohne große Verdienste um die deutsch-israelischen Beziehungen, große Errungenschaften sind erkämpft und erreicht worden – aber ebenso sicher lässt sich sagen, dass es sie gibt, die andere Seite der alten Tante SPD. Schon in 2015 wandte sich der ehemalige U.S.-Sondergesandte für den Nahen Osten unter Barack Obama, Dennis Ross, in einem lesenswerten Artikel in der New York Times an die Europäer. Sein Artikel trug den Titel „Stop Giving Palestinians a Pass“, zu Deutsch:

Hört auf, den Palästinensern einen Freifahrtschein zu geben. – Diese Botschaft scheint bei der SPD noch nicht angekommen zu sein.

Bündnis 90 / Die Grünen – progressiv in die falsche Richtung

Im Zuge der Sondierungen für die Jamaika-Koalition kam bereits des Öfteren das Interesse der Grünen am Amt des Außenministers zur Sprache, umso interessanter also ist deren Haltung zu diesen Themenkomplexen:

Auch die Grünen erwähnen Terror und illegalen Siedlungsbau in ihrem Wahlprogramm direkt nebeneinander. xvi Laut Parteistellungnahme sind für die Grünen hierbei die jüdischen Siedlungen tendenziell das größte Hindernis für Frieden, nicht etwa der Terror. Gleich zwei Mal erwähnt das Wahlprogramm die „Besatzung“, vom Terror hingegen ist nichts zu lesen. Jedenfalls nichts Aussagekräftiges, doch mehr dazu später. xvii

Völlig eindeutig in der Sprache und positiv sticht dagegen ein klares Bekenntnis zu Existenzrecht und Sicherheit Israels als Eckpfeiler deutscher Außenpolitik hervor. Man wird aber durch ein schroff wirkendes „zugleich“ des nächsten Satzes unsanft mit der Gleichzeitigkeit des grünen Einsatzes für die Erschaffung eines palästinensischen Staates konfrontiert: „Dessen Anerkennung durch Europa und Aufnahme in die VN“ (Vereinten Nationen) unterstützen die Grünen laut Wahlprogramm ohne weitere Einschränkung, laut Parteistellungnahme tendenziell sogar noch vor einer bilateralen Friedensregelung. Direkte bilaterale Verhandlungen seien zwar notwendig. Sie würden alleine aber nicht ausreichen.

Die Grünen sehen deshalb in der unilateralen Anerkennung eines Staates Palästina einen „negativen Anreiz“, „um den schwindenden Chancen für die Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung aktiv etwas entgegenzusetzen“ – die einzigen Stellschrauben machen die Grünen hier, ähnlich, aber noch krasser als die SPD bei Israel aus.

Diese Haltung gegenüber dem Friedensprozess und der Anerkennung eines palästinensischen Staates ist unvereinbar mit derjenigen der CDU/CSU in dieser Frage. Wie würde sich eine Jamaika-Koalition wohl an dieser Stelle einigen? Wie sich das Auswärtige Amt unter einem potentiellen grünen Außenminister positionieren?

Die Grünen scheinen die Vorgehensweise der UN-Resolution 2334, die sie anführen und wörtlich zitieren, bereits voll verinnerlicht zu haben – auch bei ihnen werden die vermeintlichen Vergehen Israels penibel seziert und benannt, palästinensischer Terror hingegen anonymisiert – er wird in keinen kausalen Zusammenhang mit den Palästinensern gebracht, das ist infam!

Auch scheint Resolution 242 darüber in Vergessenheit geraten zu sein, denn israelische Siedlungen jenseits „der Grenzen von 1967“, gemeint sind hier wohl die Waffenstillstandslinien von 1949, werden anders als in besagter Resolution pauschal als illegal verurteilt – vorbei die Zeiten, in denen man noch von gemeinsam vereinbartem Austausch von Gebieten sprach.

In ihrer Fürsprache für den Gaza-Streifen verwechseln die Grünen Ursache und Wirkung und schieben die Verantwortung für die Blockade des Gazastreifens zu Unrecht Israel und Ägypten zu, als wenn die Blockade einfach so vom Himmel gefallen wäre! Die Kausalkette sieht aber wie folgt aus: Israel zog seine Armee 2005 unilateral aus dem Gazastreifen ab, die Palästinenser hielten daraufhin demokratische Wahlen in 2006 ab und wählten eine Hamas-Regierung, wohlwissend, wessen Geistes Kind die sein würde. Die wiederum beschoss, wie zu erwarten war, Israel mit Raketen und führte terroristische Attentate gegen Ägypten und Israel vom Gazastreifen aus durch, wogegen die beiden Nationen sich militärisch wehrten und im Anschluss besagte Blockade errichteten. Wer trägt jetzt die Verantwortung für die Situation? Israel und Ägypten?

Erfreulicherweise sind die Grünen gegen Boykotte als Mittel deutscher und europäischer Politik gegenüber Israel, verweigern aber jüdischen Einzelpersonen und Firmen aus den in 1967 eroberten Gebieten das Recht, die Kennzeichnung „Made in Israel“ zu verwenden. Man will die radikale Unterscheidung in den Staat Israel von 1967 und „die Siedlungen“ herbeiführen, die beiden müssten völlig getrennt voneinander behandelt werden. In dieser Hinsicht irren sich die Grünen sicherlich am progressivsten von allen.

FDP – Die Renaissance bereits verlorengeglaubter deutscher diplomatischer Ausgewogenheit und Finesse

Die außenpolitisch versierten Liberalen, pardon, Freien Demokraten, siedeln die deutsch-israelischen Beziehungen ebenso wie die Unionsparteien auf der Ebene deutscher Staatsräson an. xvii Die nächste Gemeinsamkeit findet sich in dem Verständnis des Friedensprozesses als eines bilateralen Dialogs zwischen Israel und „Palästina“. Ja, auch die FDP spricht, wie die SPD, bereits von „Palästina“, dieses Vorauseilen ist auch hier nicht zweckdienlich, wird aber im Wahlprogramm ausdrücklich erklärt und damit relativiert. Der folgende Auszug aus der Parteistellungnahme der Freien Demokraten veranschaulicht ein von anderen Parteien kaum erreichtes Maß an Ausgeglichenheit im Friedensprozess: Ihre diplomatische Finesse gepaart mit klar definierter eigener Position und Statur kommt dabei Dank der gebotenen Zurückhaltung ohne störende Untertöne von Selbstüberheblichkeit aus. Man merkt darin die geballte außenpolitische Erfahrung der FDP:

„Wir Freie Demokraten treten für ein ausverhandeltes Zwei-Staaten-Modell mit festen Grenzen ein, bei dem Israel und ein unabhängiger palästinensischer Staat nebeneinander in Sicherheit und Frieden leben können. Die staatliche Souveränität Palästinas kann nur das Ergebnis erfolgreicher Friedensverhandlungen und direkter Gespräche zwischen Israel und Palästina sein, die mit einer uneingeschränkten Anerkennung Israels einhergehen müssen. Dies gilt nicht nur für die Fatah, sondern ausdrücklich auch für die Hamas. Durch israelische Siedlungsbauten werden die Friedensverhandlungen zusätzlich zur ohnehin angespannten politischen Situation nicht leichter. Allerdings kann und wird Israel einer Zweistaatenlösung nur zustimmen, wenn die Bedrohung seiner Bevölkerung und seines Territoriums durch Krieg, Terror und Raketenbeschuss aufhört. Um erfolgreich Verhandlungen zu führen, bedarf es neuer diplomatischer Anstrengungen und direkter Gespräche zwischen Israel und Palästina. Hierbei können die USA und die EU als neutrale Dritte vermitteln. Als überzeugte Europäer wollen wir ausdrücklich die guten Erfahrungen beim europäischen Friedens- und Einigungsprozess mit einbringen.“

Die Haltung der FDP im Nahost-Friedensprozess beruht eindeutig auf der Resolution 242, zusammengefasst im ersten Satz. Die Betonung direkter Gespräche zeigt einen bilateralen Ansatz und schließt eine unilaterale oder internationale Lösung über die Köpfe der Konfliktparteien hinweg aus. Außerdem erwähnt die FDP bewusst die Notwendigkeit der Anerkennung Israels durch die Palästinenser, ausdrücklich auch durch die Hamas! Die Siedlungen werden erwähnt, aber nicht als „illegal“ bezeichnet, sie machten die Friedensverhandlungen lediglich „nicht leichter“ – das ist völlig unbestritten. Der nächste Satz wird unweigerlich jedem Regierungschef in Israel einen Seufzer der Erleichterung entlocken. „Allerdings kann und wird Israel einer Zweistaatenlösung nur zustimmen, wenn die Bedrohung seiner Bevölkerung und seines Territoriums durch Krieg, Terror und Raketenbeschuss aufhört.“ In Israel werden sie denken: Endlich mal eine europäische Partei, die das begreift. Den Terror lässt die FDP nicht unbestimmt, anonym, sie benennt ihn vor der zitierten Passage als „palästinensischen Terror“. Es bedürfe neuer diplomatischer Anstrengungen, neutrale Dritte könnten „helfen“ und „mit einbringen“ – das klingt so viel diplomatischer, feiner, ausgeglichener und unterstützender als der rumpelige, aktivistische und einseitige Ansatz der Grünen.

Passend zu dem positiven Gesamteindruck, den die neuaufgestellte FDP in besagten Themenkomplexen macht, drückt die Partei große Klarheit in ihrem Verständnis von Antisemitismus aus, den sie zurecht sowohl links als auch rechts und bei Islamisten und Antisemiten verortet. xix Einziger Makel: Der Holocaust wird nur indirekt erwähnt, deutsche Schuld und daraus erwachsende Verantwortung ebenfalls nur in verklausulierter Form.

Zu schade, dass die FDP nach der Erfahrung von 2009-2013 wohl kaum ein Interesse am Auswärtigen Amt, sondern eher am Finanz- oder Wirtschaftsministerium haben dürfte…

Die FDP und die Unionsparteien scheinen nämlich zumindest außenpolitisch äußerst kompatibel miteinander zu sein und über eine gemeinsame Grundausrichtung zu verfügen. Starke Impulse zur Mitgestaltung deutscher Außenpolitik von Seiten der Freien Demokraten wären aufgrund der hohen diplomatischen Finesse und Ausgewogenheit in den öffentlich verfügbaren Programmen und Stellungnahmen der Partei überaus begrüßenswert.

Ausblick in die neue Legislaturperiode

Zusammengefasst wird der Bundesrepublik Deutschland der frische Wind personeller, strategischer und koalitionärer Neuausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik im Auswärtigen Amt, Bundeskanzleramt und auch im Bundestag sicher gut tun. Auch wenn es eine klare Tendenz hin zu den äußeren Flügeln des politischen Spektrums gibt und sich auch die Mitte-links Parteien klar von der Mitte weg in Richtung links begeben, kann doch die moralische und in sich ruhende Position der Union, zusammen mit der jahrzehntelang gesammelten Erfahrung, Finesse und Versiertheit einer neuaufgestellten FDP, dem außenpolitischen Koordinatensystem Deutschlands wichtige Sicherheit, Ruhe und dringend benötigte Fixpunkte verleihen. Große Einigkeit unter den etablierten Parteien (mit Ausnahme der AfD) besteht zum Glück auf dem Gebiet des Holocaust-Gedenkens und der daraus folgerichtig abgeleiteten Verantwortung Deutschlands, sich gegen Antisemitismus zu engagieren. Auch das Einstehen für das Existenzrecht Israels wird parteiübergreifend bejaht und als deutscher Standpunkt vertreten.

Größte Unbekannte in der Gleichung ist die Farbe des Auswärtigen Amtes: Schwarz, gelb oder grün?


http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/angela-merkel-ordnet-ihren-beraterstab-neu-15242065.html
ii http://politikerbefragung.de/alle-antworten/
iii  https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2017/wahlprogramm2017/die_linke_wahlprogramm_2017.pdf (Seite 110)
iv https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/06/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf
https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1 (Seite 64)
vi  https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/170703regierungsprogramm2017.pdf?file=1 (Seite 70)
vii http://www.csu.de/common/download/Beschluss_Bayernplan.pdf (Seite 15)
viii http://politikerbefragung.de/antwort-cducsu/ (S. 3 unter „Zusammenfassende Antwort auf die Fragen zu den deutsch-israelischen Beziehungen“)
xi http://militaryedge.org/israels-qualitative-military-edge-legislative-background/
http://politikerbefragung.de/antwort-cducsu/
xi http://jcpa.org/paying-salaries-terrorists-contradicts-palestinian-vows-peaceful-intentions/
xii https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Gerechtigkeit-Unser_Regierungsprogramm.pdf (Seite 91)
xiii http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/israel-und-deutschland-gemeinsam-gegen-nationalismus-a-1266004
xiv https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Bundesparteitag_2017/Es_ist_Zeit_fuer_mehr_Gerechtigkeit-Unser_Regierungsprogramm.pdf (Seite 108)
xv http://politikerbefragung.de/antwort-spd/
xvi https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/BUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_Bundestagswahlprogramm_2017_barrierefrei.pdf (Seiten 82–83)
xvii http://politikerbefragung.de/antwort-gruene/
xviii https://www.fdp.de/sites/default/files/uploads/2017/08/07/20170807-wahlprogramm-wp-2017-v16.pdf (Seite 102)
xix http://politikerbefragung.de/antwort-fdp/


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